Welteneröffner

„Das Buch, das auf deine Geschichten wartet“ – Elise Hurst, Kobi Yamada, Neil Gaiman

Adrian & Wimmelbuchverlag, erschienen am 10. Mai 2023, Preis 24,95 € [D], Gebundene Ausgabe, ab 6 Jahren, 128 Seiten, ISBN:  978-3985850969

„Du hälst die Landkarte mit Orten in Händen, die nur du sehen kannst.“

Stell dir vor, du bekommst ein Buch in die Hände, das dir Welten eröffnet. Alles was du tun musst, ist den Buchdeckel zu öffnen und einzutauchen. Zugegeben, es bedarf ein bisschen Fantasie und Vorstellungskraft. Denn die magischen Szenerien und Wesen, die es für dich bereithält, werden erst dann lebendig, wenn du an sie glaubst. Sie entführen dich an Orte, die du bislang nur in deinen kühnsten Träumen gesehen hast. Und ehe du dich versiehst, bist du Teil eines fantastischen Abenteuers. Einer berauschenden Reise, deren Sog dich erfasst und erst dann wieder loslässt, wenn es dir gelingt, den Buchdeckel zuzuklappen.

Dieses Buch ist so eines. Es ist das Buch, das auf deine Geschichten wartet.

„Geschichten verbinden sich mit der realen Welt und auch unserer Traumwelt, reichen mit Ranken und Wurzeln bis zu unseren frühesten Erfahrungen und erstrecken sich bis in den Himmel mit unseren Hoffnungen und Träumen.“

Mit einem Kind kehrt so viel Fantasie in dein Leben zurück. Eine Fantasie, die du als Erwachsener oft unterdrückst oder vergisst, weil sie in der Realität oft fehl am Platz ist oder dich zum/r Tagträumer*in werden lässt. Mit einem jungen Menschen an deiner Seite (wie in meinem Fall als Mutter) ändert sich dein Blick auf die Welt. Plötzlich siehst du wieder Dinge, die du für viele Jahre nicht mehr gesehen oder sogar bewusst ignoriert hast. Doch plötzlich musst du lernen, dir Zeit zu nehmen, zu verharren, wirklich hinzuschauen, das Schöne in den kleinen Dingen zu sehen und dich von deiner Fantasie davontragen zu lassen. Denn dein Kind wird dich dazu auffordern und du wirst es ihm danken. Denn es werden sich wieder magische Welten vor deinem Auge formen, die du schon als Kind kennen und lieben gelernt hast.

Abenteuer rufen nach dir. Und eine fantastische Reise beginnt … 

Dieser wahr gewordene Traum von einem Buch, den Kobi Yamada und Elise Hurst gemeinsam geschaffen haben, wird dir Zugang zu wunderbar magischen, teilweise sehr skurrilen und surrealen Szenerien und Wesen geben; zum Leben erwecken musst du sie jedoch selbst. Mit deiner Fantasie und Vorstellungskraft wird das, was sich auf 52 Doppelseiten versammelt hat, lebendig. Mit einem feinen schwarzen Stift konnte Illustratorin Elise Hurst mit Kreuzschraffuren und vereinzelten Farbtupfern eine Sammlung fantasievoller Bilder schaffen, die in diesem Buch vereint wurden. Jede Doppelseite steht dabei für sich und birgt unendlich viele Geschichten und Möglichkeiten in sich, denen man sich auf unterschiedliche Weise annehmen kann. Sie dienen nicht nur als Grundstein für Abenteuer, die man selbst zum Leben erweckt, sondern auch als Inspirationsquelle für kreative Schreiberlinge.

Der Reiz eines wortlosen Buches, ist für mich stets der Facettenreichtum, den es ganz unweigerlich mitbringt. Denn die Geschichten entfalten sich bei jeder Lektüre anders, wenn auch manchmal nur um Nuancen. Es ist kein geradliniger Weg, auf den man sich dabei begibt, sondern ein Pfad mit vielen Weggabelungen. Eine jede Weggabelung wird sich lohnen, hält Überraschungen und Wendungen für dich bereit. Und so offenbart sich dir nicht nur eine Geschichte, sondern ganz viele. Szenerien, Wesen und Dinge formen sich immer wieder von Neuem.

Hier sind es u.a. ein Koala-Paar und ein alter Mann, die auf großen Blättern durch die Luft segeln; ein faszinierender Oktopus, dem wir von einer leuchtenden Unterwasserkugel aus direkt ins Auge blicken; ein luftiger Ort, von dem aus wir das magische Treiben im Himmel aus einem Bullauge aus beobachten; fliegende Elefanten, die die Luft erobern oder eine riesige getigerte Katze, die den Straßenverkehr lahmlegt, weil sie mitten auf der Straße einschläft.

Die Gedankenansätze, die Autor Kobi Yamada dir vereinzelt in diesem wortlosen Buch auf den Weg gibt und dank Übersetzerin Lara Krüger den Weg ins Deutsche fanden, werden sich in deinem Kopf zu Geschichten formen. Elise Hurst gibt dir mit ihren detailreichen Illustrationen lediglich eine Momentaufnahme an die Hand, die du in deinem Kopf weiterspinnen und Form und Farbe annehmen lassen kannst. Einer meiner liebsten Autoren, Neil Gaiman, legt mit seinem großartigen Vorwort einen fantastischen Grundstein für die magische Reise, die dieses Buch für dich bereithält. Er beschreibt dabei einen alten Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Fragmente irdischer Weisheit in Gemälden festzuhalten, die er während seines Lebens gesammelt hat. Elise Hurst‘ Gemälde werden zu den seinen.

„Wir sind so viel mehr als das Leben, das wir leben. Wir sind Weltenerschafferinnen, Traumredner, Erfinderinnen und Künstler. Die Weiten in unseren Gedanken sind unendlich und einzigartig und mit jedem Moment, den wir ihnen schenken, wachsen sie.“

Ich möchte euch dieses fantastische Werk als Begleiter für das neue Jahr und alle, die danach noch kommen werden, an die Hand geben. Möge es euch daran erinnern, dass in unserer Fantasie alles möglich ist. Dass es sich lohnt zu träumen und unser Glaube Berge versetzen kann.

Rutscht gut rüber, in ein neues Jahr voller fantastischer Abenteuer!

 

Wenn das Leben über einen hereinbricht

„Offene See“ – Benjamin Myers

Dumont Verlag, erschienen am 20. März 2020, Preis 20,00€ [D], hier geht’s zum Buch

„Das Leben wartete da draußen, bereit, gierig getrunken zu werden. Vertilgt und verschlungen zu werden. Meine Sinne waren erwacht und unersättlich, und ich schuldete es mir selbst und all den anderen meiner Generation, […] mich mit dem Leben vollzustopfen.“

Zitat, Seite 16

Es ist ein ländliches Bergarbeiterdorf in einer sanft gewellten Landschaft, irgendwo zwischen der Stadt und dem blaugrünen Meer. Von dort bricht er auf, um der Enge seines Elternhauses zu entkommen, mehr von der Welt zu sehen und und sein wahres Ich zu finden. Seinen Rucksack hat er nur mit dem Nötigsten bestückt. Die Sehnsucht nach dem Meer und nach Freiheit treiben ihn voran. Und so bildet Robert schon bald eine Symbiose mit der facettenreichen Natur Nordenglands, die mit einem abwechslungsreichen Terrain aus Heidelandschaften und Wäldern, Mooren und Bergen, Schluchten und Tälern aber auch dem Gefühl grenzenloser Freiheit aufwartet.

Es ist die Zeit nach dem Krieg. Einem Krieg, der noch immer in den Menschen wütet, sich wie eine schwarze Blume mit ihrem Herzen verwurzelt hat. Die Erinnerungen an das Gesehene wirken toxisch, lassen entkräftete und verstörte Seelen zurück. Robert sucht sich nebenbei Arbeit als Tagelöhner, ersetzt die Kriegsverluste oder verlorenen Seelen. Und mit jedem Schritt und jeder Weggabelung, die er hinter sich lässt, kann er auch seine jugendliche Haut abstreifen.

Er strandet in einem alten von Wildem Wein überwuchertem Cottage mit angrenzender Wildwiese unweit vom Meer entfernt. Hier trifft er auf Dulcie, einer unerschrockenen, belesenen, rede- und weltgewandten Dame mittleren Alters und ihrem Hund Butlers. In ihrem wilden Garten schlägt Robert für mehrere Tage sein Lager auf, erledigt kleine Garten- und Ausbesserungsarbeiten für Dulcie, die seinem Gaumen im Gegenzug zu kulinarischen Leckerbissen verhilft. Und so genießt Robert nicht nur das erste Mal eine Reihe von kulinarischen Köstlichkeiten, die ihm durch seine bescheidenen Familienverhältnisse bislang verwehrt geblieben sind, sondern auch seinen ersten Vollrausch. Und obwohl den 16-jährigen und die Frau mittleren Alters ein erheblicher Altersunterschied trennt, führen sie fortan ausschweifende Gespräche über Gott und das Leben. Es ist Dulcie, die Robert zeigt, was das Leben so alles für einen bereithält und dass es sich darum kämpfen lohnt, selbst entscheiden zu dürfen, wohin einen der Weg führt.  

„Ich atmete tief ein, roch Erde, Bärlauch, Kräuter, schwebende Pollen und den Duft der salzigen Seeluft. Ein Sinnenschmaus. Die winzigsten Details wurden glasklar: das Rippengefüge eines kleinen welken Blattes, das seit dem Winter unberührt geblieben war, das Beben eines einsamen wilden Grashalms, während andere ringsherum reglos blieben. Auch das leise Hecheln des Hundes fiel in den Takt meines eigenen Herzens mit ein, das einen sanften Rhythmus aus rauschendem Blut in meinem Trommelfellen schlug. Ein einzelner Schweißtropfen rann an meiner linken Schläfe herab. Ich fühlte mich lebendig. Herrlich, irrsinnig lebendig.“

Zitat, Seite 53

Es war ein einziger Tag am Meer, den wir in unserem Urlaub an der niederländischen Küste verbracht haben. Er war erfüllt von einem Bad im sonnenerhitzten Meer, dem Muscheln sammeln und den Freudenschreien einer kleinen Räubertochter, die das erste Mal in ihrem Leben von Salzwasser umspült wurde. Ein kurzer Augenblick des Glücks, der von einer großen Gewitterwolke jäh beendet wurde, die sich fast vollständig über uns entladen hat und uns wenig später an der regennassen Promenade entlang schlendern, barfuß durch Pfützen hat waten lassen. Und dennoch. Es war da, dieses Gefühl von grenzenloser Freiheit, das mich durchströmt, wenn ich das Meer sehe. Wie Balsam hat es sich auf meine Seele gelegt und eine Träne in die Freiheit entlassen, die sich in meinem Auge gesammelt hat. Vor Glück. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Das Meer und ich.

Meine diesjährige Urlaubslektüre hätte ich nicht besser wählen können. Hatte ich doch bereits kurz vor dem Erscheinen in „Offene See“ hineingeschnuppert und mich schon an den ersten Zeilen gelabt, die mich umspült haben wie das Meer selbst. Es war die beste Entscheidung, mir diese Perle für einen besonderen Moment aufzuheben; für den Urlaub, der so lange auf sich warten hat lassen und mir im aller letzten Moment doch noch vergönnt war. Und auch als der Urlaub längst vorbei und ich wieder zuhause war, genoss ich die letzten Seiten von „Offene See“ noch in vollen Zügen. Es erschien mir fast, als habe sie mich noch ein bisschen weiter getragen, die Sehnsucht nach dem Meer, von der auch der junge Robert vorangetrieben wird. Es ist sein Wunsch nach grenzenloser Freiheit, nach Abenteuer und nach Leben, den ich so gut nachempfinden konnte; sein neugieriges Wesen, dass das mir auf Anhieb sympathisch war. Ich verstand, warum er nicht in die Fußspuren seines Vaters treten möchte. Warum er das Leben in der freien Natur dem Leben unter Tage vorzieht. Nicht der Bergbauer werden will, den sein Vater in ihm sieht.

„Ein gutes Gedicht bricht die Austernschale des Verstandes auf, um die Perle darin freizulegen. Es findet Wörter für Gefühle, deren Definitionen sich allen Versuchen des verbalen Ausdrucks entziehen.“

Zitat, Seite 111

Myers‘ Zeilen begegnen einem wie Offenbarungen. Seine Beschreibungen sind melodisch. Poetisch. Nachhallend. Er scheint für alles die richtigen Worte zu finden. Verleiht seinem Roman damit eine ungeheure Kraft und Lebendigkeit. Man wiegt sich nahezu in den atmosphärischen Zeilen, die die Umgebung erwachen und zu ihrer vollen Schönheit entfalten lassen. Und so umgibt dich während dem Lesen eine unglaubliche Unbeschwertheit und Ruhe. Sie lassen uns die Natur und die Landschaft Englands vollends in uns aufnehmen, ihre Schönheit mit allen Sinnen erfassen. Die Willkürlichkeit des Moments wird unser Navigator, lässt es zu, dass wir in in diesem Kleinod stranden. 

Doch Myers findet nicht nur brillante Worte, er ergänzt seine Zeilen auch um die namhafter Künstler, bringt Textstellen, AutorInnen und Werke ins Spiel und verschafft damit nicht nur seinem jungen Protagonisten sondern auch seinen Lesern Zugang zu guter Literatur, zu Musik und zur Lyrik. Er zitiert Stellen aus dem Koran, empfiehlt Robert D.H. Lawrence, Whitman, Sheley, John Clare, Robinson Jeffers, Emily Dickinson, Christina Rossetti und Emily Bronte. Die weise Dulcie wird dabei zu Myers Sprachrohr. Sie ist es, die Robert an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben lässt, ihm das Leben schmackhaft macht und ihn darin bestärkt, für ein selbst bestimmtes Leben zu kämpfen. Und so bringt Dulcie einen Reifeprozess ins Rollen, der aus dem jungen Robert einen Mann formt, in dem Begehren erwacht.   

Dulcie begegnet uns als sehr starke widerstandsfähige Persönlichkeit. Sie scheint bereits alles gesehen zu haben, pflegt die richtigen Kontakte, verfügt über die notwendigen Mittel, um Haus und einen umfangreichen Fuhrpark unterhalten zu können. So leicht scheint sie nichts aus der Bahn zu werfen. Doch als Robert in ihrem verwilderten Schuppen auf einen Gedichtband namens „Offene See“ stößt und sie damit konfrontiert, beginnt ihre Fassade zu bröckeln und ein verdrängtes Erlebnis kämpft sich mit aller Macht in ihr Bewusstsein zurück. Und plötzlich ist es Robert, der Dulcie dazu verhilft, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und sich mit der offenen wütenden See zu versöhnen. 

Es war mir ein wahres Vergnügen mich in (die) „Offene See“ zu stürzen. Meine Reise mit Robert und Dulcie hat mir die Augen geöffnet, meine Sinne erweitert und mir ein Gefühl von unbändiger Freiheit geschenkt. Es ist ein Abenteuer, das ich so schnell nicht vergessen und dem ich noch eine ganze Weile nachhängen werde.

„Während ich jetzt hier am offenen Fenster sitze, ein Glissando von Vogelstimmen auf einer hauchzarten Brise, die den Duft eines letzten nahenden Sommers in sich trägt, klammere ich mich an die Dichtung, wie ich mich ans Leben klammere.“

Zitat, Seite 11

Kinderfreuden #29: Da hat sich doch wer ins Bild gemogelt!

„Löwe, Hase, Schwein – ein Tier passt nicht rein!“ – Nadine Jessler

Löwe, Hase und Schwein, was sollen diese drei Tiere schon gemeinsam haben? Einer tanzt hier gewaltig aus der Reihe! Der Löwe hat sicherlich nichts auf dem Bauernhof zu suchen, wo er doch zu den gefährlichen Tieren zählt und zwischen Elefant, Leopard und Nilpferd zu finden ist. Das merkt man ja schon an seinem Gebrüll. Wobei, so ein Hahn, eine Pute und ein Esel machen auch ganz schön viel Lärm!

In diesem Such-Wimmelbuch gibt es nicht nur jede Menge zu entdecken, sondern es gilt auch ebenjene Tiere zu finden, die sich auf die jeweilige Doppelseite geschummelt haben.

Eckdaten

Pappbilderbuch, ab 2 Jahren

16 Seiten
20 x 27 cm
ISBN: 978-3-7348-1573-7

Illustrationen: Nadine Jessler

Magellan Verlag

9 €

Sicher dir hier dein persönliches Exemplar…

Blickwinkel aus großen Augen

Das Riesen-Such-Wimmelbuch „Löwe, Hase, Schwein – ein Tier passt nicht rein!“ begleitet uns tatsächlich schon seit 15 Monaten. Der Zufall wollte es, dass es hier schon einzog, als Emma gerade mal drei Monate war. Eigentlich war es als Geschenk für den Neffen gedacht. Dass der das Buch schon längst hatte, war erstmal unglücklich, kam uns dann aber doch sehr gelegen. Denn so zog es direkt in Emmas Bücherregal ein und avancierte schnell zu ihrem Lieblingsbuch. Es zählt bis heute dazu!

Dass die Altersempfehlung oft nur zur groben Orientierung dient, haben wir für uns recht schnell festgestellt. Das riesige wimmelartige Suchbuch, das für Kinder ab zwei Jahren empfohlen wird, wurde von der Räubertochter nämlich bereits mit drei Monaten angenommen. Kein Witz! Die riesigen kartonierten Seiten sind sehr baby- und sabbertauglich (natürlich nur wenn man die Sabberfäden gleich wegwischt) und die großflächigen Bilder, die durchaus detailreich aber nicht überladen sind, eignen sich auch schon zum Betrachten für die ganz Kleinen. Natürlich ist der Einsatz eines Buches abhängig vom jeweiligen Kind. Ich kenne durchaus auch Kinder, die von den lebendigen und detailreichen Bildern dieses Buches ziemlich schnell überfordert gewesen wären. Nicht aber Emma. Und so betrachtete sie die großflächigen Seiten bereits, als sie selbständig auf dem Bauch liegen und ihren Kopf heben konnte. Heute ist sie 1,5 Jahre alt und zieht es immer noch am häufigsten aus dem Regal.

2019 vs. 2018

Es hat sich sogar als sehr geschickt herausgestellt, dass das Suchbuch uns schon so lange begleitet. Während es Emma anfangs zum Betrachten und Kennenlernen der Tierwelt verhalf, betrachtet sie es heute in Begleitung von Tiergeräuschen ganz alleine. Die Tiere sind ihr mittlerweile vertraut. Sie hat sie über die Zeit kennen und lieben gelernt. Emma brüllt mit Vorliebe wie der Löwe, imitiert die Katze und den Hund, lacht sich über die pupsenden Stinktiere kaputt und hat ihre ganz eigene Interpretation von Walgesang gefunden (der Sound ihres langgezogenen Namen kommt dem nämlich schon ganz nahe). Das Buch ist eine richtige Entdeckungsreise durch die Tierwelt. Jede Doppelseite hat eine thematische Klammer: Tiere auf dem Bauernhof, gestreifte, schnelle und wilde Tiere, Tiere mit lustigen Namen, Meerestiere und Waldbewohner. Doch schon der Titel deutet darauf hin, dass irgendetwas an der Sache faul ist. Denn was sollen Löwe, Hase und Schwein schon gemeinsam haben!? Und so springt durchaus auch mal ein Affe aus dem Stall des Bauern, gleitet ein Koala mit Taucherausrüstung in die Tiefen des Meeres und mischt sich ein Leopard unter die gestreifte Tierschar. Die Aufgabe jeder Doppelseite ist es, diese Tiere zu finden. Und dieser Herausforderung sind sicher erst Kinder ab ca. zwei Jahren gewachsen, weshalb die Altersempfehlung in diesem Fall durchaus gerechtfertigt ist (sollte man das Buch mit dem Grundgedanken eines Suchbuches kaufen).

Nadine Jesslers riesiges Such-Wimmelbuch ist einfach ganz wunderbar anzusehen. Die Illustrationen sind bunt und detailreich, die eindrücklichen Texte bleiben den großen Erzählern schnell im Kopf und die vielen kleinen Details, die man beim genaueren Betrachten entdeckt, sorgen oft für ein Schmunzeln. Das Suchbuch hat damit ganz großes Lieblingsbuch-Potential und sei all den Eltern ans Herz gelegt, die beim Vorlesen mindestens genauso viel Spaß haben wollen wie ihre Kinder!

Blickwinkel aus kleinen Augen

Emmas Urteil:

Gefällt dir das Buch?

Ja, sehr. Es ist mein Lieblingsbuch.

Wo steht das Buch bei dir?

Überall, es wechselt ständig den Platz

 

Lieblingsfiguren:

die Maus, die dem Löwen ein Stück Käse reicht

die pupsenden Stinktiere

der singende Wal

der Elefant

 

 

Bester Leseplatz:

mit 3 Monaten: liegend auf der Krabbeldecke bzw. dem Bett

mit 1,5 Jahren: bequem auf dem Sofa oder in meiner Kuschelecke, das Buch auf dem Schoß

 

 

Beste Lesezeit:

kurz vor dem Schlafengehen

tagsüber

Schlüpft in die Rolle von:

einer Entdeckerin

 

 

[Werbung: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Magellan Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt]

Seelenfeuer

„Wilde Reise durch die Nacht“ – Walter Moers

Als Gustave und die Mannschaft der Aventure von einem Siamesischem Zwillingstornado heimgesucht werden, scheint eines unausweichlich: der Tod. Doch dass ihm Gevatter Tod höchstpersönlich begegnet und ihm vor seinem Ableben noch einen Deal anbietet, damit hätte Gustave nicht gerechnet.

Um seine Seele vor dem Einsargen zu bewahren, soll Gustave in einer einzigen Nacht sechs schier unlösbare Aufgaben bewältigen: Er soll eine Jungfrau vor den Klauen eines Drachen befreien, durch einen Wald voller bösartiger Gespenster reiten, sich Rätselhaften Riesen und dem Schrecklichsten aller Ungeheuer stellen, der Zeit den Zahn ziehen und sich letztendlich selbst begegnen, ehe der Tod ihm die sechste und letzte Aufgabe stellt.

Die Aventure (Xylographie von Gustave Doré, aus „The Rime of the Ancient Mariner“ von Samuel Taylor Coleridge)

Gustave lässt sich auf den Pakt mit dem Tod ein und begibt sich fortan auf eine wilde Reise durch die Nacht, bei der er von der Erde zum Mond, einmal quer durch das ganze Universum und wieder zurückreist und das verrückteste Abenteuer seines Lebens bestreitet.

„Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Gevatter Tod

“Das Leben, mein Junge, ist nicht nur eine wilde, schöne Reise. Leben, das heißt auch: dem Tod bei der Arbeit zuzusehen. Das ist das Härteste überhaupt! Das muss man aushalten können. Bist du bereit, das auszuhalten, mein Junge?”

Zitat, Seite 163

Während ich Moers‘ Zamonien-Romane bereits allesamt verschlungen habe, blieb das vorliegende Werk bis dato immer unentdeckt. Irgendwie hatte ich den Roman, der bereits 2001 im Anschluss an „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär“ und „Ensel und Krete“ erschienen ist und nicht in Zamonien spielt, all die Jahre übergangen. Welch ein Fauxpas!

Nachdem ich sein neuestes Werk „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“ innerhalb kürzester Zeit gelesen hatte, beschloss ich, bis zur Erscheinung der ersten Graphic Novel im Herbst meine moers’sche Lektüren-Lücke zu füllen, und mir eine der alten Hardcover-Ausgaben von „Wilde Reise durch die Nacht“ zu sichern. Wie ich herausfand, ist es neben seinem neuesten Werk ebenfalls mit Illustrationen aus fremder Hand ausgestattet.

Was sich mir in diesem Buch offenbarte, war eindeutig mehr, als ich erwartet hatte. Denn die Geschichte, die Moers um einundzwanzig Holzstiche des scheinbar erfolgreichsten Illustrators des neunzehnten Jahrhunderts entspinnt, ist grandios. Es sind die Bilder von Gustave Doré (1832 – 1883), auf dessen Grundlage die Geschichte basiert. Moers kreiert damit nicht nur ein wahnwitziges Abenteuer, das sich an Dorés Holzstiche entlanghangelt, sondern erschafft damit auch eine Hommage an den Illustrator selbst, der insgesamt 221 Werke, darunter auch Cervantes Don Quichote, Dantes Inferno, Poes The Raven, Ariostos Orlando Furioso (Rasender Roland) und die Bibel, mit seinen Zeichnungen und Holzschnitten ausgestattet hat. Demnach ist der 12-jährige Protagonist Gustave, den Moers hier auf eine phantastische Reise schickt, niemand geringeres als Gustave Doré selbst.

Gevatter Tod (Xylographie von Gustave Doré, aus „Die Bibel“)

„Das war der Tod in seiner Sturm-und-Drang-Phase! Vor ein paar hundert Jahren. Wahrscheinlich mal wieder unterwegs, um irgendeine Pest über die Menschheit zu bringen! (…) Damals hatte er noch wesentlich mehr Anhänger, wie du gesehen hast. Und sieh ihn dir heute an! Ein Schatten seiner selbst! Bis aufs Skelett abgemagert. Schiebt Dienst nach Vorschrift und hat sich in seinem Ruhesitz auf dem Mond verkrochen. Der erschreckt höchstens noch kleine Jungs. Mittlerweile hat er nur noch seine bekloppte Schwester. Der Tod ist Rentner geworden.“

Zitat, Seite 149/150

Und so finde ich mich in einem nächtlichen Unterfangen voller Anspielungen, schwarzem Humor, Einfallsreichtum und dramatischen Wendungen wieder. Das wahnwitzige Abenteuer, das mit der Begegnung mit Gevatter Tod und seiner bekloppten Schwester Dementia beginnt, führt mich nicht nur an zickigen Amazonen, dämlichen Riesen, weinerlichen Monstern und zahlreichen Fantasiewesen vorbei, sondern schleudert mich auch durch einen Galaktischen Gully mitten hinein in die Verwaltungsabteilung des Universums, wo ich einen Blick auf Futuristische Eventualitätswaben mit Raumzeitkontinuierlichen Möglichkeitsprojektionen werfen darf.

Eine nackte Amazone (Xylographie von Gustave Doré, aus „Orlando Furioso“ von Lodovico Ariosto)

Was soll ich sagen: Moers‘ überschäumende Fantasie kannte schon damals keine Grenzen. Er jonglierte bereits 2001 mit zahlreichen Fantasiewesen; die mir mitunter vertraut, aber auch gänzlich unbekannt waren; bastelte fleißig Anagramme und dehnte Wörter bis ins Unermessliche. Die begleitenden Holzstiche Dorés sind dabei nicht nur besonders schön anzusehen, sondern machen die „Wilde Reise durch die Nacht“ auch zu einem überaus harmonischen Gesamtwerk, das sich nun perfekt an die restlichen Zamonienromane schmiegt und die klaffende Lücke in der Moers-Regalreihe schließt.

Wer sich auf eine nächtliche Reise fernab von Zamonien einlassen möchte, dem ist dieses Werk schwer ans Herz gelegt. Auch 16 Jahre nach seinem Erscheinen hat es für mich nicht an Reiz verloren. Sicherlich ist in den nachfolgenden Werken eine gewisse literarische Entwicklung von Moers festzustellen. Dem Lesevergnügen des vorliegenden Werkes steht das aber keinesfalls im Weg.

„Je weniger qualvoll die Todesart, desto weniger attraktiv die Tiere. Wenn du friedlich an Altersschwäche stirbst, siehst du nur ein Huhn. Das letzte Huhn. Es gackert, und du bist hinüber.”

Zitat, Seite 154

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Ich ängstige dich, also bin ich

„Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“ – Walter Moers

Autor: Walter Moers | Illustrationen: Lydia Rode | Seiten: 344 | Gebundenes Buch, Pappband mit Schutzumschlag | 24.99 € [D] | ISBN: 978-3-8135-0785-0 | Erscheinungstermin: 28.08.2017 | Knaus Verlag

„Wenn die Minuten durch die Jahre rufen, erhebt sich der ewige Träumer über seine irdische Last. Und reist mitten hinein, ins dunkle Herz der Nacht.“

Prinzessin Dylia ist die schlafloseste Prinzessin von ganz Zamonien, weswegen sie sich auch gerne „Prinzessin Insomnia“ nennt. Ihr Rekord schlafloser Nächte liegt bei 18 Tage. Während sich der gesamte Königshof den Kopf darüber zerbricht, wie man ihrer heimtückischen Krankheit Einhalt gebieten könnte, hat sich Dylia mit ihrem Zustand längst abgefunden und nutzt die zusätzliche Zeit, sich ihrer ganz besonderen Leidenschaft, der Sprache, zu widmen. Sie übersetzt und erfindet dabei nicht nur eine Reihe spezieller Wörter, die sie selbst Pfauenwörter tauft, sondern wendet auch ein selbst erdachtes Buchstabenvertauschungsprogramm von verblüffender Wirksamkeit an. Durch das „ridikülisierende Anagrammieren“ kann sie jedes Schreckenswort in eine Karrikatur seiner selbst verwandeln und sogar Krankheiten und dem Tod den Stachel ziehen.

Prinzessin Dylias Pfauenwörter in alphabetischer Reihenfolge

„Prinzessin Dylia hatte nun einmal ein außergewöhnlich leidenschaftliches Verhältnis zu Sprachen. Zu Buchstaben. Zu Wörtern aller Art, deren Verbreitung sie gewissermaßen als ihre ganz eigene diplomatische Mission am Königshof empfand. (…) Sie übersetzte leidenschaftlich gerne von einer in die andere und wieder zurück. Übersetzen, so glaubte Dylia, sei wie Wörtern über die Grenze zu helfen. Selbst illegaler Wörterschmuggel und nicht autorisierte Übersetzungen konnten in ihren Augen wertvolle Beiträge zur Völkerverständigung sein.“

Zitat, Seite 50

Als eines Tages ein merkwürdig hässlicher Gnom mit schimmernd lederner Haut und einem unerhört losen Mundwerk in ihrem Schlafgemach auftaucht, wird ihr dennoch Angst und Bange. Denn Havarius Opal ist ein alptraumfarbener Nachtmahr. Sie sind es, die das Alptraumgeschäft verwalten und ihre Opfer so sehr in den Wahnsinn treiben, dass sie ihrem Leben freiwillig ein Ende setzen. Auch Havarius verheißt Dylia, ihr von nun an nicht mehr von der Seite zu weichen und sie bis zu ihrem befreienden Sprung in den Tod zu begleiten.

„Wer nicht springen will, muss fühlen.“

Zitat, Seite 107

Doch Dylia beabsichtigt nicht im Geringsten, sich frühzeitig aus dem Leben zu verabschieden. Sie wählt daher die für sie viel interessantere Alternative: eine Reise nach Amygdala. Ein abenteuerlicher Trip in die Stadt der Angst und ins dunkle Herz der Nacht.

„Langeweile, das war für Prinzessin Dylia etwas, worunter kleine Kinder litten, die noch nicht genug Gehirnmasse entwickelt hatten. Oder Vollidioten, bei denen das mit der Gehirnmasse auch im Erwachsenenalter nicht klappte.“

Zitat, Seite 37

Ein irrer Trip durch die Windungen eines Hirns

Da ist es nun, das neue Werk von Walter Moers. Doch es ist nicht „Das Schloss der träumenden Bücher“, auf das Fans bereits seit geraumer Zeit warten, sondern vielmehr ein neues Zamonien-Projekt, das nach Aussage von Moers alle anderen vorübergehend verdrängt hat.

Zu seinem neuesten Werk, das er der zamonischen Spätromantik und erneut dem Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz zuschreibt, wurde Moers von Lydia Rode inspiriert, die sein Werk nicht nur farbig illustrierte, sondern auch an der seltenen und rätselhaften Krankheit Chronic Fatigue Syndom (CFS) leidet, einem chronischen Erschöpfungssyndrom, dessen Leitsymptom eine lähmende geistige und körperliche Erschöpfung ist.

Amygdala ©Illustration von Lydia Rode

Nun, Moers-Fans wie mir, ist es ehrlich gesagt völlig egal, wie das neue Zamonien-Werk nun heißt und in welche abgelegenen Winkel es mich führen wird, das einzig Wichtige ist, er schenkt mir neuen zamonischen Lesestoff. Und da ist er nun: „Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“.

Und Moers enttäuscht mich nicht. Ganz im Gegenteil. Während das vorangegangene „Labyrinth der träumenden Bücher“ zwar eine Reihe an kreativen Ideen beinhaltete, aber auch vor altbekannten Begriffen und Wiederholungen aus den Vorgängerbänden strotzte, überrascht er mich nun mit einer wiedergewonnenen Stärke und einem neu angereicherten Ideenreichtum, mit dem er mich seit jeher zu begeistern versteht.

Dieser besagte Reichtum präsentiert sich nicht nur in einer Vielzahl an raffinierten Wörtern, skurillen Figuren und mysteriösen Schauplätzen, sondern auch durch einen gänzlich neuen Plot. Denn weder der Prinzessin noch dem Nachtmahr bin ich je zuvor begegnet. Es sind ihre rebellischen Persönlichkeiten, die in Konversationen voller unterhaltendem Wortwitz, starkem Sarkasmus und kämpferischem Gefrotzel ausufern. Moers schleudert mir Sprichwörter ums Ohr, die mir irgendwie vertraut vorkommen, und dennoch völlig anders sind. Schreckenswörter verwandelt er in verweichlichte Anagramme und aus merkwürdigen Fantasiebegriffen werden essentielle Pfauenwörter.

Während Moers sich anfangs recht eingehend mit Prinzessin Dylias Krankheit Insomnia und ihrer besonderen Vorliebe für die Sprache beschäftigt, kommt die Geschichte eigentlich erst so richtig mit der Begegnung von Havarius Opal, dem alptraumfarbenen Nachtmahr, und ihrer gemeinsamen Reise nach Amygdala ins Rollen.

Es ist die Schlaflosigkeit der Prinzessin, die uns Zugang zu einer völlig neuen Welt eröffnet und uns ins tiefere Innere ihres Gehirns führt. Eine abenteuerliche Reise voller ungeahnter Gefahren beginnt. Sie lässt uns durch dichte Nebelsuppe flimmen, Denkfalten passieren und in eine Hirnklamm hinabsteigen, wo wir nicht nur fragilen Geistgeistern (bzw. Zwielichtzwergen) und parasitären Zergessern begegnen, sondern auch über Zweifelspfützen springen, Ideen beim Schlüpfen zusehen und Geistesblitzen ausweichen müssen, um sie nicht in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen.

Wir reisen mitten hinein, ins dunkle Herz der Nacht, und winden uns voller Behanglichkeit in der moers’schen Kreativität. Die farbigen Illustrationen von Lydia Rode, die uns während der gesamten Reise durchs Buch begleiten, sind dabei nicht nur besonders schön anzusehen, sondern auch besonders wirkungsvoll. Sie erwecken die zahlreichen Fantasiefiguren und Schauplätze zum Leben und schenken Moers‘ Zeilen eine besondere Tiefe. Als wenn Rode Feenstaub über die Seiten gestreut hätte.

„Dein Gehirn ist ein Dschungel wie jedes andere Gehirn auch. Ein wilder, gefährlicher, gnaden- und gesetzloser Urwald voller unberechenbarer Kreaturen. Perfekte Ordnung und totales Chaos, Diktatur und Anarchie, freier Wille und irrer Zwang, Fressen und Gefressenwerden – all das existiert darin. Wie in einem Zoo, in dem alle Käfigtüren offenstehen.“

Zitat, Seite 111

Ein römisches Inhaltsverzeichnis

Insgesamt ist das zamonische Märchen in achtzehn Kapitel eingeteilt, die mit römischen Zahlwörtern versehen sind. So beginnt die Reise mit dem ersten Kapitel Primus und endet mit Octavus Decimus. Darüber hinaus ordnet Moers ihnen noch zusätzliche Unterschriften zur Orientierung wie z.B. Der Friedhof des bunten Humors hinzu. Dank ihnen lässt es sich auch im Nachhinein noch einmal ganz leicht durch die Schauplätze der Geschichte hangeln.

„Jedes Gehirn ist anders, jedes Gehirn ist verrückt und jedes Gehirn ist anders verrückt. Aber auf keinen Fall ist es nur.“

Zitat, Seite 111

Eine audiovisuelles Vergnügen

Hörbuch zum Roman ©2017 der Hörverlag

Eckdaten

Hörbuch, 1 mp3-CD

Laufzeit: 11 h 23 min

Produktion: der Hörverlag

Gelesen von: Andreas Fröhlich

ISBN: 978-3-8445-2809-1

Preis: € 24,99 [D]

Während ich sonst hauptsächlich nur lese, wagte ich mich bei „Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“ auf relativ unerforschtes Terrain und ließ mich neben der Lektüre auch von Andreas Fröhlichs facettenreicher Stimme berieseln, die sowohl als Stimme von Prinzessin Dylia als auch Havarius Opal in meinen Ohren Gestalt annahm.

Fröhlichs Stimme konnte mich erstaunlich schnell in seinen Bann ziehen. Er spielt wie ein Jongleur mit ihr, bedient sich unterschiedlichen Stimmlagen und betonenden Sprachpausen. Er schnauft und jammert was das Zeug hält und scheint selbst in Moers‘ raffiniertesten Fantasiebegriffen und Zungenbrechern kein Hindernis zu sehen. Gekonnt hangelt er sich durch die Geschichte, begeistert mit einem unbeirrbaren Redefluss.

Doch auch wenn Fröhlich mich während der gesamten Reise durch das Buch sehr gut unterhalten konnte, kann ich mich dem Gedanken; wie das Werk wohl vom verstorbenen Dirk Bach gelesen worden wäre, der alleine schon aufgrund seines aberwitzigen Naturells perfekt zu der Skurrilität von Moers‘ Zeilen gepasst hat; nicht verwehren.

Fest steht, dass das audiovisuelle Zusammenspiel dem zamonischen Vergnügen nicht nur eine zusätzliche Dimension schenkt, sondern die Geschichte auch mit einer besonderen Note Alptraum garniert. Es setzt Moers‘ Geschichte die Krone auf und sorgt dafür, dass Havarius‘ Stimme auch nach dem Ende des Hörbuchs noch lange in mir nachhallt. Fast sehne ich mich selbst nach der Begegnung mit einem Nachtmahr, der mich in das tiefste Innere meines Gehirns entführt. Es ist der fieberhafte Traum von einem Alptraum, der mich fortan wachhalten wird.

Besonders gelungen finde ich das Beiheft, das sich neben der CD im Inlay des Hörbuchs befindet und den Hörbuch-Hörern eine Auswahl von Lydia Rodes Illustrationen mitsamt Erklärungen der wichtigsten Phänomen des Romans schenkt.

„Stell es dir einfach so vor: Ein Alptraum ist ein Paket, das du bekommst. Der Nachtmahr ist der Postbote, der es zustellt.“

Zitat, Seite 77

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Weitere Besprechungen findest du hier:

Anima Libri

Kapri-zioes

Wortmalerei

Meine gebundenen Moers-Schätze

Kinderfreuden #17: Mäuseluftfahrt

„Armstrong“ – Torben Kuhlmann

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Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond

Eines Tages entdeckt eine kleine graue Maus auf dem Dachboden ein angestaubtes Teleskop. Als sie durch das lange Rohr hindurch späht, staunt sie nicht schlecht. Denn was sich ihr offenbart, ist nicht nur ein unglaublicher Blick in den Nachthimmel, sondern auch auf den Mond; jenem magisch leuchtenden Objekt, das sich mal als dünne Sichel oder auch als prall gefüllter Laib Käse präsentiert und sie seit jeher fasziniert.

Während die anderen Mäuse sich sicher sind, dass es sich schlichtweg um das größte Stück Käse der Welt handelt, will der kleine Astronom es genauer wissen. Voller Wissbegier und Tatendrang begibt sich die Maus auf wissenschaftliche Recherche und ergründet Stück für Stück das Geheimnis des Mondes. Doch um die anderen Mäuse von seiner wahren Bedeutung zu überzeugen, braucht es stichfeste Beweise. Und so fasst die Maus eine tollkühne Entscheidung: Sie muss die erste Maus auf dem Mond werden!

Eckdaten

Text & Illustration: Torben Kuhlmann | NordSüd Verlag | ET: 25.07.2016
Ab 5 Jahren | Seiten: 128 | Hardcover 19.99 € | ISBN: 978-3-314-10348-3
Zum Buch beim NordSüd Verlag

Blickwinkel aus großen Augen

Spätestens seit „Lindbergh – Die abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus“ ist Torben Kuhlmann jedermann ein Begriff. Denn was der in Hamburg gelernte Illustrator mit wenigen Pinselstrichen aufs Papier zaubert, sind kleine Meisterwerke. Bilder, die oft mehr sagen, als tausend Worte und die gänzlich für sich alleine sprechen. Dies bewies Kuhlmann bereits mit seiner Bilderbuchgeschichte „Maulwurfstadt“, die sich den Kindern auch mit wenig Text so lebendig präsentierte, dass man meinte, die erdige Luft riechen und die dunkle Beklommenheit des Erdreichs spüren zu können.

Während Kuhlmanns Maus bereits in „Lindbergh“ über ihren kleinen Mäusetellerrand hinausblickte und sich mit einem selbstgebastelten Flugzeug über den Atlantik wagte, treibt es Kuhlmann nun auf die Spitze. Denn der Atlantik reicht ihm nicht mehr. Es muss der Mond sein! Und so tüftelt und testet seine Maus was das Zeug hält. Doch bis sie schließlich als erste Maus auf dem Mond landet, erfordert es Kreativität, technisches Geschick und jede Menge Geduld. Denn die anfängliche Konstellation entpuppt sich als Montagsmaschine und zu allem Übel kommen ihr auch noch die Menschen auf die Schliche. Jetzt aber ran an den Käse, ähmm Mond.

Torben Kuhlmann beweist einmal mehr sein unglaubliches Geschick für das Zeichnen. Seine Bilder sprühen vor Kreativität und Lebendigkeit. Kuhlman richtet seinen Fokus dabei nicht nur auf die Akkuratesse seiner Figuren, sondern auch auf die richtige Auswahl der Farben. So entstehen warme und lebendige Bilder, die das schier unmögliche Unterfangen einer zum Mond fliegenden Maus den großen und kleinen Betrachtern plötzlich authentischer wirken lässt, als es eigentlich darf. Joschua wird von der Leuchtkraft des Mondes magisch angezogen. Schnell teilt er die Faszination der Maus und begibt sich immer wieder gerne auf ein mäusestarkes Abenteuer ins Weltall.

Obwohl „Armstrong“ die Fortsetzungsgeschichte von „Lindbergh“ ist, lässt sich die Geschichte wunderbar eigenständig entdecken. Im Anschluss an die Geschichte reiht sich noch eine kurzes Exposé der Raumfahrt und Torben Kuhlmanns Biografie an. Auch hier wird zu meiner Begeisterung nicht auf begleitendes Bildmaterial verzichtet.

Mäusestarke Leseempfehlung!

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© NordSüd Verlag

Blickwinkel aus kleinen Augen

Joschuas Urteil:

Steckbrief Joschi Blog 2

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Gefällt dir das Buch? Ja
Was hat dir besonders gefallen? der Mond
Worum geht die Geschichte? um eine Maus, die zum Mond düst
Wo steht das Buch im Regal? neben „Lindbergh“
Lesezeit: immer, wenn der Mond besonders stark leuchtet
Bester Leseort: die Couch
Schlüpft in die Rolle von: einem Abenteurer

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Wellengang im Kopf

„Tage zwischen Ebbe und Flut“ – Carin Müller

Autorin: Carin Müller | Seiten: 288 | Taschenbuch 9.99 € | ISBN: 978-3-426-51973-8 | Erscheinungstermin: 01.09.2016 | Knaur TB

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Er kam ganz plötzlich: dieser unberechenbare Wellengang in Felix Kopf, der ihn vollends erfasst und seine Erinnerungen durcheinanderwirbelt wie in einer Waschtrommel. Plötzlich herrscht in seinem Kopf Unruhe. Erinnerungen kommen und gehen wie Ebbe und Flut. Er kann sie nicht festhalten.

Felix ist 70 Jahre alt, als ihm das passiert. Ganz heimtückisch überkommt sie ihn, die Krankheit Alzheimer, und macht aus dem sonst so selbstbewussten Mann einen unsicheren und unkontrollierbaren Zeitgenossen.

Auf einer gemeinsamen Kreuzfahrt mit Ehefrau Ellen, Tochter Judith und Enkelin Fabienne soll ihn das Meer besänftigen. Doch während Felix die Reise durchs Mittelmeer als wunderbares Abenteuer erlebt, beginnt für die drei Frauen eine Seelenreise durch tiefes Gewässer, die verborgene Emotionen zutage spült.

„Felix sah aufs Meer. (…) „Das bin ich.“, er deutete aufs Wasser. „Die Wellen sind in meinem Kopf. Alles ist da. Alles. Aber es bewegt sich. Ich kann es nicht festhalten.“

Zitat, Seite 36

Es sind Tage zwischen Ebbe und Flut, die Carin Müller in ihrem gleichnamigen Roman präsentiert. Ein unkontrollierter Seegang, der uns durch das Krankheitsbild der Volkskrankheit Alzheimer spült und uns Momente voller Höhen und Tiefen beschert.

Romane mit dieser Thematik gibts mittlerweile wie Sand am Meer. Was Müllers Roman jedoch von den anderen unterscheidet, ist der Schauplatz. Während sich z.B. Colemans Protagonistin in „Einfach unvergesslich“ in ihrem vertrauten Umfeld bewegt, verlässt Müllers Protagonist sein gewohntes Terrain: das Meer dient als Setting.

Was daraus entsteht, ist eine emotionale Seelenreise für alle Beteiligten. Denn nicht nur Felix wird von den wogenden Wellen des Meeres erfasst, sondern auch seine Begleiterinnen. Das familiäre Chaos ist vorprogrammiert.

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„Seine Gedanken waren klar und durchsichtig wie Wasser. Dass sie in seinem Kopf wogten wie Wellen, machte ihm hier nicht zu schaffen. Er hatte gar nicht mehr das Bedürfnis, einen davon festzuhalten oder zu verfolgen, sondern ließ es einfach zu. Und das tat so gut. Ganz diffus, irgendwo weit weg, war die Trauer, die sonst sein ständiger Begleiter war. Die Trauer um den wortgewaltigen, witzigen Mann, der mit Eloquenz und Charme seine Umgebung betört hatte. Das war mit einem Mal nicht mehr wichtig, denn dieser Mann war nur Fassade gewesen. Jetzt war er einfach nur er selbst.“

Zitat, Seite 177

Felix erlebt auf der Reise Momente völliger Klarheit. Mit der Kreuzfahrt geht für ihn ein langgehegter Herzenswunsch in Erfüllung. Er ignoriert die ständigen Rangeleien von Ehefrau und Tochter, überrascht sie mit liebevollen Gesten und Momentaufnahmen aus der Vergangenheit. Doch zu Felix guten Momenten gesellen sich auch jede Menge schlechte: er wird von plötzlich auftretenden Gedächtnislücken, Unsicherheit und Verärgerung heimgesucht, reagiert oft wie ein trotziges Kind. Sein schwer kontrollierbares Wesen wird zu einer Geduldsprobe. Vor Allem, als er von heute auf morgen verschwindet und auf einem benachbarten Kreuzfahrtschiff als blinder Passagier auftaucht.

„Wie schrecklich muss das sein, wenn der geliebte Partner Stück für Stück verschwindet und nur noch eine leere Hülle bleibt? (…) Im Grunde ist das alles Trauer am lebenden Objekt, denn meinen Vater gibt’s schon lange nicht mehr.“

Zitat, Seite 127

Ellen, die von Felix steigender Demenz am Meisten betroffen ist, wirkt völlig hilflos. Ihr Nervenkostüm ist dünn, sie ist leicht reizbar und kompensiert ihre Hilflosigkeit mit Wortkargheit und Großschnauzigkeit, die zu unnötigen Kämpfen mit ihrer Tochter führen, die Partei für ihren Vater ergreift. Die Zankerei der Beiden wird nicht nur für das direkte Umfeld, sondern auch für den Leser nahezu unerträglich. Gerne hätte ich den lächerlichen Streitereien einen Riegel vorgeschoben und um Disziplin gebeten!

Man merkt, dass Müllers Geschichte auf eigenen Erfahrungen basiert. Die Charaktere allen voran Felix, sind liebevoll gezeichnet und das Krankheitsbild präsentiert sich so heimtückisch und unberechenbar wie im wahren Leben. Da ich im familiären Umfeld selbst schon mit den Folgen der Krankheit konfrontiert war, ist mir der schwere physische Prozess bewusst, den Betroffene und Angehörige durchleben. Demente Menschen verlieren Stück für Stück und unwiederbringlich sich selbst.

Carin Müller balanciert mit ihren Roman auf einem schmalen Grad zwischem leichten Unterhaltungsroman und dramatischer Familiengeschichte. Sie lädt ihre Leser auf eine abenteuerliche Schifffahrt durch schwieriges Fahrwasser ein, die nicht nur Verluste, sondern auch jede Menge Erkenntnisse und Chancen mit sich bringt.

„Vergessen ist eine Form von Freiheit.“

Khalil Gibran

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Frozen Angels

lesenslust über „Fast genial“ von Benedict Wells

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„Die größten Komplexe hatten die Menschen, die im Pine-Tree-Trailerpark draußen am Stadtpark hausten. Es waren Verrückte, Verlierer oder kaputte Familien, und selbst die meisten Kinder wirkten seltsam verstört, mit raspelkurzen Haaren, schlechten Zähnen und einem debilen Gesichtsausdruck, den man nur bekam, wenn einem das Leben die Unwissenheit ins Gesicht getackert hatte.“

Zitat, Seite 17/18

Nach der Scheidung seiner Mutter wohnt Francis mit ihr in einem schäbigen Trailer Park am Stadtrand von Claymont. Während Stiefvater Ryan mit Halbbruder Nick in New York ein schönes Leben lebt, träumt Francis Nacht für Nacht von einem besseren Leben. Hofft, das mittellose Leben mit seiner manisch depressiven Mutter eines Tages hinter sich lassen und einer besseren Zukunft entgegenblicken zu können.

Doch als die Mutter erneut in ein depressives Loch fällt, und Francis sie einweisen lassen muss, schwindet auch seine letzte Hoffnung. Im Flur der Nervenklinik trifft er auf die Patientin Anne-May: Jung, wild und scheinbar so verrückt wie seine Mutter. Und doch ist da etwas in ihrem Blick, das ihn nicht mehr loslässt. Er verliebt sich Hals über Kopf in sie, besucht sie fortan jeden Tag.

Wenige Wochen später, die Mutter als genesen eingestuft, findet Francis sie unmittelbar nach einem Selbstmordversuch auf ihrem Zimmer. Als Francis ihren von Tabletten betäubten Körper sieht, will er nur noch weg. Weg von ihr, weg von Claymont, weg von seinem beschissenen Leben. Und als er im eigentlichen Abschiedsbrief seiner Mutter endlich die Hintergründe zu seinem leiblichen Vater erfährt, scheint ihm der Zeitpunkt dafür genau richtig.

Doch der Brocken, den der Brief Francis offenbart, ist schwer zu schlucken. Denn Francis ist ein Frozen Angel. Ein Retortenbaby, das aus der „Samenbank der Genies“ stammt. Einer Samenbank renommierter Spender, allesamt Menschen mit erhöhtem IQ.

Wenig später sitzt Francis mit Anne-May und seinem Kumpel Grover in einem alten Chevy in Richtung Westen. Er muss seinen Vater finden, der für Francis zum Symbol eines besseren Lebens wird.

„Es gab diese Momente im Leben, in denen alles einen Sinn bekam und in denen man von einer auf die andere Sekunde wusste, was man zu tun hatte. Francis sah die Dinge nun klar: Er musste seinen Vater finden. Alles würde sich ändern, wenn er ihn traf. Er würde aus seinem Drecksleben in Claymont ausbrechen und den Leuten endlich zeigen, dass er doch kein Versager war. (…) Durch den Brief seiner Mutter hatte Francis eine zweite Chance erhalten.“

Zitat, Seite 81

Schon komisch, dass mir der in München geborene Jungautor so lange kein Begriff war. Denn Benedict Wells kann bereits mit 31 Jahren auf vier erfolgreiche Romane und eine Verfilmung mit deutscher Starbesetzung („Becks letzter Sommer“) zurückblicken. So ist es nicht verwunderlich, dass ich nach seinen neuesten Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ (mehr dazu hier) und meinem bisherigen Jahreshighlight einfach noch nicht genug von seinen Geschichten hatte. Irgendwie musste ich weiter auf der Wells-Welle  reiten und mich direkt auf den Vorgängerroman stürzen. Und das schien genau richtig!

Denn in „Fast genial“ schleudert mich Wells nahezu ungebremst in Grovers Chevy und damit direkt neben Protagonist Francis, seinem Kumpel Grover und Patientin Anne-Mey. Unser gemeinsames Ziel scheint vorerst Los Angeles zu sein, dem Ort, wo nicht nur Francis Vater, sondern auch die Hoffnung zu wohnen scheint.

„In dieser Nacht schien alles möglich. Mehr als tausend Meilen von zu Hause entfernt berauschten sie sich an ihrer Freiheit.“

Zitat, Seite 117

Doch das Leben spielt Roulette und macht aus der Reise einen abgefahrenen Road Trip mit unbestimmten Ziel. Wir taumeln durchs schillernde Las Vegas, schlafen in schäbigen Motels, treffen auf weitere Retortenbabies um letzten Endes mitten im Nirgendwo zu stranden. Es wird ein irrer Abenteuertrip, der nicht nur einen Haufen Dreck, sondern auch allerhand Emotionen aufwirbelt und damit für unvorhergesehene Spannungen und Offenbarungen sorgt.

Wells nimmt sich während dieser Reise nicht nur Zeit, sich der Thematik um die „Samenbank der Genies“, die 1980 tatsächlich existierte und Francis Geschichte erzählt; sondern auch dem nerdigen Grover und der emotional labilen Anne-May zu widmen. Sie alle werden Teil von einem unvergesslichen Abenteuer. Dem Abenteuer ihres Lebens.

Um die Entwicklung des Romans nicht vorweg zu nehmen, möchte ich an dieser Stelle keine weiteren Details der Reise offenbaren. Die Geschichte hat alles, was ein guter Unterhaltungsroman braucht. Sie reißt mit, sie stimmt nachdenklich und unterhält. Es dreht sich dabei um so viel mehr, als man es anfangs vermutet. Denn neben der Suche nach Francis Vater, begegnen wir auch den Wirren der Liebe, Freundschaft und der verzweifelten Suche nach Zugehörigkeit.

Und so glitt ich dahin, sicher und geräuschlos, auf Benedicts Welle, fand vertraute Komponenten wieder und lerne eine jüngere Facette des Autors kennen, die nicht minder beeindruckt. Somit bahnt sich ein weiterer Wells Roman einen Weg in mein Bücherregal und schmiegt sich ganz harmonisch an seine Diogenes – Geschwister.

 „Objektiv gesehen ist der Tod das Beste, was den Menschen passieren konnte. Er zwingt sie, sich dem Leben zu stellen, jede Sekunde davon zu genießen und sich zu verwirklichen. Er ist das einzig richtige Ende, notwendig und ein starker Antrieb. (…) Subjektiv gesehen ist der Tod natürlich scheiße.“

Zitat, Seite 187

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Kinderfreuden #11: Ein Freund, ein guter Freund

lesenslust über “Beste Freunde” von Benji Davies & Linda Sarah

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Beschreibung:

Ben und Eddy sind richtig dicke Freunde. Zusammen sind sie unschlagbar. Auf ihrem Hügel spielen sie verstecken, erobern von ihren Pappkartonschlössern aus die Welt als Piraten, Astronauten oder Ritter. Sie springen, fliegen und rennen um die Wette und können zusammen sogar mucksmäuschenstill sein. Sie sind ein Dream Team und verstehen sich selbst ohne Worte.

Doch eines Tages  taucht eine anderer Junge am Hügel auf. Sam hat die beiden beobachtet und möchte mit seinem Karton so gerne mitspielen. Eddy hat nichts dagegen. Doch als er mit Sam beginnt, Drachen zu jagen, wird Ben plötzlich ganz still. Er hat ein seltsames Gefühl im Bauch, möchte seinen besten Freund ungern teilen.

Ben ist traurig und schottet sich ab. Er zerreisst seinen Karton und kommt auch nicht mehr zum Hügel. Doch Eddy und Sam haben für Ben eine ganz besondere Überraschung vorbereitet.

Kann ihre Freundschaft einen Dritten im Bunde vertragen?

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Eckdaten

Hardcover, ab 4 Jahren

32 Seiten
284mm x 249mm
ISBN: 978-3-8489-0091-6

Linda Sarah, Benji Davies
Übersetzt von Johanna Hohnhold

Aladin Verlag
12,95 €

Sicher dir hier dein persönliches Exemplar…

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Blickwinkel aus grossen Augen

Schon mit seinem ersten Bilderbuch „Nick und der Wal“ wusste Illustrator Benji Davies zu begeistern. Während in seinem ersten Werk vor allem Elternliebe und Abschied im Fokus standen, setzt Davies in seinem zweiten Bilderbuch „Beste Freunde“ ganz auf Freundschaft. Ein Glücksgriff. Denn die Geschichte von Davies und Sarah geht mitten ins Herz.

Es sind nicht nur die liebevollen Illustrationen, die diese zauberhafte Freundschaftsgeschichte ausmachen, sondern auch die Liebe zum Detail, der Ideenreichtum und die Botschaft der Geschichte. Dank diesem harmonischen Zusammenspiel glänzt das Bilderbuch im Kinderbuchregal und bringt sowohl kleine als auch große Augen zum Leuchten.

Eddy und Ben sind beste Freunde. Ihre Freundschaft steht ganz klar im Fokus. Doch als der fremde Junge Sam dazustößt, gerät ihre Freundschaft ins Wanken. Ben ist es nicht gewöhnt, seinen besten Freund zu teilen. Er erträgt es nicht, dass Sam nun mitmischt und beginnt sich langsam aber sicher von den beiden abzukapseln. Er zerstört seinen Karton , ist wütend, dass er Eddy nicht mehr alleine hat.

Doch eine richtige Freundschaft kann allem Stand halten. Und so überraschen Eddy und Sam Ben mit einem unfassbarem Riesenmonsterkistending, einen XXL-Pappkarton mit Geheimfächern, den sie Herr Klettermaxe nennen. Ein Freundegefährt für Drei. Bei gemeinsamen Abenteuern mit Herr Klettermaxe bemerkt Ben, dass Sam gar nicht so übel ist. Er ist lustig, mutig und ganz nebenbei ein feiner Kerl. Plötzlich sieht Ben, dass man auch zu dritt richtig dick befreundet sein kann.

Die Botschaft des Buches ist klar. Es geht um Freundschaft und ums Teilen. Die Geschichte zeigt den Kleinen, dass man manchmal Mut für Neues haben muss und Veränderungen nicht immer schlecht sein müssen. Davis liebevolle Illustrationen spiegeln die gesamte Farbpalette des Regenbogens wieder und präsentieren sich je nach Wetterlage und Stimmung der Figuren. So betrachten wir einen lila-roten Himmel bei Sonnenuntergang, ein Wolkenbruch als sich Bens Stimmung verdüstert und einen leuchtenden Nachthimmel, als Ben bekümmert zuhause sitzt.

„Beste Freunde“ lebt von großflächigen Zeichnungen und bedient sich lediglich ein paar begleitenden Zeilen. Davies ist erneut ein bezauberndes Bilderbuch gelungen, dass sich im Kinderbuchregal harmonisch an seinen Nachbarn „Nick und der Wal“ schmiegt. Im Februar erscheint erneut ein Bilderbuch von Davies, das den Namen „Opas Insel“ tragen wird.

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Blickwinkel aus kleinen Augen

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Joschuas Urteil:

Steckbrief Joschi Blog 2

Gefällt dir das Buch? Ja

Was hat dir besonders gefallen? die Bilder, Herr Klettermaxe

Worum geht die Geschichte? um Freundschaft

Wo steht das Buch im Regal? neben Nick und der Wal

Schlüpft in die Rolle von: einem dicken Freund

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Drachenzeit..

lesenslust über „Glücksdrachenzeit“ von Katrin Zipse

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„Leise zieht Papa die Tür hinter sich zu. Ich höre ihn an die Badezimmertür pochen und nach Mama flüstern, alles ganz leise, leise, aber ich kann es trotzdem hören, weil ich es einfach weiß. Wie Mama und Papa plötzlich leise werden, leise und noch leiser und stumm und noch stummer, bis keine Luft mehr zum Atmen da ist, weil die Stille den ganzen Raum eingenommen hat.“

Zitat, Seite 17

Gemeinsam mit Kolja trotzt Nellie dem Rest der Welt. Bis ihr großer Bruder nach Frankreich abhaut und seine Schwester zurücklässt. In einer Familie, die von Stille und Schmerz dominiert wird und in der Nellie ohne Kolja nicht überleben kann.

Sie beschließt, ihm hinterher zu reisen. Per Anhalter will sie nach Avignon. Für eine 15-jährige ein riskantes Wagnis. Denn bei ihrem abenteuerlichen Trip trifft sie auf naive Mädels auf der Überholspur und schmierige Typen am Steuer, denen sie nur mithilfe einer rüstigen alten Dame in einem pfefferminzgrünen Morris haarscharf entkommen kann.

Unterwegs nach Frankreich gabeln Nellie und Miss Wedlock den süßen Elias auf und geraten in unerwartete Turbulenzen. Denn ähnlich wie Nellie schleppt auch die bezaubernde alte Dame  eine traumatische Vergangenheit mit sich herum, die sie auf ihrer gemeinsamen Fahrt einholt.

Und als wäre das noch nicht genug, muss Nellie sich in Avignon nicht nur mit einem störrischen Kolja, sondern gleich mit einer ganzen Bande von Drogendealern auseinandersetzen. Wie soll sie aus diesem Schlamassel jemals wieder herauskommen?

„Okay. Es kommt, wie es kommt. Und dann reagiert man eben. Aber nicht vorher. Vorher nie.“

Zitat, Seite 10

Lange hat es gedauert, bis ich mich Katrin Zipses Jugendbuchdebüt annehmen konnte. Endlich habe auch ich es geschafft. Nun liegt ein ganz besonderes Leseerlebnis hinter mir, das sicherlich noch lange nachhallen wird. Denn was sich hinter dem fröhlich gepunkteten Cover von „Glückdrachenzeit“ verbirgt, ist keine  seichte Jugendgeschichte, sondern ein emotionaler Roadtrip per excellence.

So gibt uns die Autorin Nellie an die Hand: Eine verstörte 15-Jährige, die nach dem Verschwinden ihres großen Bruders Kolja hilflos zurückbleibt. In ihrer Familie, die von einer traumatischen Vergangenheit überschattet ist, bekommt sie kaum Luft zum Atmen. Ihre Eltern scheinen wie versteinert und nicht im Stande, sich ihren Kindern anzunehmen. Immer ist es der Bruder, der Nellie rettet: Vor ihrem Kummer und vielen schlaflosen Nächten. Doch irgendwann verliert sich Kolja selbst, gerät auf die schiefe Bahn, findet keinen Zugang mehr zur Familie und flieht.

So beginnt auch Nellie aus dem Glashaus, in dem die unfähigen Eltern sitzen und auf bessere Tage warten, zu fliehen. Sie will nach Frankreich, ihrem Bruder hinterher. Nur mit ihm kann wieder alles besser werden. Doch der Trip nach Avignon entwickelt sich ganz anders, als Nellie es erwartet. Schon beim Trampen entkommt sie nur knapp den falschen Leuten und wird von Miss Wedlock, einer rüstigen alte Dame in einem pfefferminzgrünen Oldtimer, aufgelesen.

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wpid-wp-1435576472991.jpegDoch auch die Fahrt mit Miss Medlock wird zur Herausforderung. Denn die alte Dame wird von Gespenstern aus ihrer Vergangenheit verfolgt, die sie seit 70 Jahren begleiten. Gespenster, die Autofahrten gefährlich und Autobahnrasten zu Abenteuern mit ungewissem Ausgang machen. Mit Elias, einem jungen Tramper, setzt Zipse den beiden Frauen einen weiteren Begleiter ins Auto, der nicht nur für haarige Glücksdrachentattoos sondern auch für Schmetterlinge in Nellies Magengegend sorgt und dem Roman eine gefühlvolle und ganz und gar bezaubernde Komponente schenkt.

„In dieser Nacht sitze ich mit einem wildfremden Jungen auf der Bordsteinkante einer Autobahnraststätte, und es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wäre. Denn diese Nacht ist eine Zaubernacht im Niemandsland. Sogar für jemanden, der nicht an Magie glaubt.“

Zitat, Seite 110

Ohne dem facettenreichen Roman noch mehr an Entwicklung vorneweg zu nehmen, sei euch „Glücksdrachenzeit“ einfach nur ans Herz gelegt. Zipses Debüt ist eine spannende Reise zweier Geschwister, die lernen müssen auf eigenen Füßen zu stehen und für ein besseres Leben  kämpfen. Die Autorin setzt sich dabei sehr gefühlvoll mit den Themen Trauerbewältigung, familiärer Zusammenhalt und Geschwisterliebe auseinander. Sie hat einen mitreißenden Jugendroman geschrieben, den man nur schwer aus der Hand legen kann und mit dem sie nicht nur junge sondern auch erwachsene Leser zu beeindrucken vermag.

„Es beginnt ganz unspektakulär. (…) Erst eine Träne und dann noch eine. Nur dass es einfach nicht mehr aufhört. Ich weine und weine. Tatsächlich. Es müssen fossile Tränen sein, so lange habe ich nicht mehr geweint. Sie schmerzen in meinem Hals, in meinen Augen, auf meinen Wangen. Sie ätzen und brennen und schneiden mir in die Haut.“

Zitat, Seite 264

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