„Der Leuchtturmwärter und ich“ – Benjamin Morpurgo, Benji Davies
Magellan Verlag, erschienen am 13. Juli 2021, Preis 13,00 € [D], Hardcover, ab 8 Jahren, 120 Seiten, ISBN: 978-3-7348-4109-5, hier geht’s zum Buch
Benjamin Postlethwaite ist ein Eigenbrötler. Er lebt seit vielen Jahren zurückgezogen in einem Leuchtturm auf Puffin Island und weist mit dem Nebelhorn und Leuchtfeuer seines Leuchtturms zahlreichen Schiffen den Weg. Ohne ihn wäre schon so manches Schiff auf den Felsen vor den Scilly-Inseln zerschellt und so mancher Passagier ertrunken. Doch auch das hellste Licht vermag nicht jedes Schiff zu retten und so wird der Viermaster Pelikan eines Nachts von der tosenden See auf die Felsen geworfen.
Benjamin sieht die Gefahr und rettet in fünf Zügen allen dreißig Männern, Frauen und Kindern das Leben bevor der Schoner vom Meer verschluckt wird. Auch Allen Williams und seine Mutter befinden sich unter den Geretteten. Allen, damals noch ein Kind, ist dem Leuchtturmwärter dafür nicht nur auf ewig dankbar, sondern bleibt ihm auch noch ein Leben lang verbunden. Trotz seines ernsten und unnahbaren Wesens ist Allen es, für den Benjamin am Abend der Rettung ein Lächeln übrig hat. Der Leuchtturmwärter schenkt ihm zum Abschied eines seiner Schiffsgemälde.
Als Teenager fasst Allen einen Entschluss: nach dem erfolgreichem Abschluss der Schule will er sich auf ein Abenteuer begeben und dabei auch Halt in Puffin Island machen. Denn auch wenn seine Briefe an Benjamin unbeantwortet bleiben, kann er ihn nie vergessen.
Ein atmosphärisches Unterfangen
Wenn das Cover und die Kurzbeschreibung eines Kinderbuchs so verführerisch daherkommen wie bei „Der Leuchtturmwärter und ich“, dann kann ich kaum widerstehen, mich einer Geschichte selbst anzunehmen, selbst wenn sie in erster Linie für ein jüngeres Publikum geschrieben wurde. Dass ich in das vorliegende Kinderbuch aber unbedingt selbst eintauchen musste, hatte noch einen ganz anderen Grund, nämlich, weil es von Benji Davies illustriert wurde.
Der britische Autor, Illustrator und Filmregisseur Benji Davies, der in diesem Fall „nur“ als Illustrator tätig wurde, ist seit den Walgeschichten (u.a. „Nick und der Wal“) ein fester Bestandteil unseres Kinderbuchregals. Wir haben die meisten seiner Bilderbücher im Regal stehen und können uns an seinen bunten und berauschenden Bildern (u.a. in „Opas Insel“) kaum sattsehen. Seine Illustrationen fallen in der Regel so detailreich und lebendig aus, dass gar kein Text von Nöten ist, um die darin abgebildete Geschichte zu erfassen.
Auf seine Illustrationen in Michael Morpurgos Geschichte war ich deshalb sehr neugierig. Denn während die Illustrationen in Bilderbüchern eine dominierende Rolle spielen, weil der Fokus der kleinen Leser*innen eben noch auf den Bildern liegt, nehmen sie in Kinderbüchern i.d.R. nur noch einen begleitenden Part ein. Dass das dem Wert der Illustrationen keinen Abbruch tun muss, zeigt „Der Leuchtturmwärter und ich“. Denn hier begegnen mir Davies‘ Bilder wie eh und je, sie sind bunt und lebendig, fügen sich sehr harmonisch ins Schriftbild ein und und füllen oft sogar eine ganze Doppelseite aus. Da kann es einem schon mal passieren, dass man sich mitten auf tosender See wiederfindet.
Eine lebenslange Verbundenheit
Ich muss gestehen, Michael Morpurgo, der wohl zu den bekanntesten britischen Kinder- und Jugendbuchautoren zählt, war mir lange kein Begriff. Doch mit „Mein Weihnachtswunsch für dich“ hatte der Autor mich für sich gewonnen und so war es nicht groß verwunderlich, dass er mich mit seiner ruhigen aber nicht minder lebendigen Sprache, die von Henning Ahrens ins Deutsche übertragen wurde, in dieser Geschichte erneut zu begeistern verstand.
„Wir waren schon völlig verzweifelt, als wir in der Dunkelheit ein Boot auf uns zukommen sahen – ein winziges Ruderboot mit einem Mann darin, das auf den riesigen Wellen ritt.“
Zitat, Seite 13
Es ist jene stürmische, von heftigem Gewitter durchzogene Nacht, in der man sich als Leser*in gleich zu Beginn wiederfindet. Was Morpurgo hier zu spinnen beginnt, ist nicht nur ein weitreichendes Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Protagonisten Allen und Benjamin (kurz Ben), das weit über die tosende See hinausreicht, sondern auch eine ganz beeindruckende Lebensgeschichte eines jungen Mannes, die nicht immer von Leichtigkeit und Glück gezeichnet ist und dennoch zu einem guten Ende findet.
Allen muss schon in jungen Jahren sehr prägende Erfahrungen sammeln. Sein Vater stirbt kurz nach seiner Geburt, er wächst bei seiner Mutter auf, die aus Ermangelung finanzieller Mittel mit ihm zu den kalten Großeltern väterlicherseits zieht, wo er mit unzähligen Regeln seines Großvaters und der Härte seines Kindermädchens konfrontiert wird. Als sie kündigt, wird er aus Strafe vom Großvater auf ein Internat gesteckt. Die Mutter, gesundheitlich und emotional sehr geschwächt, schafft es nicht, sein Schicksal abzuwenden. Im Schulleiter des Internats stößt er erneut auf Ablehnung und muss nicht selten Geländeläufe bei Wind und Wetter absolvieren. Doch was in erster Linie der Bestrafung dient, bringt Allens Talent fürs Laufen zum Vorschein. Er entdeckt dabei seine Liebe zur Natur.
„Ich genoss das Laufen. Ich genoss es, allein zu sein. Ich liebte den Wind und den Regen, den Matsch und die Vögel, die ich am Fluss sah: Reiher, Eisvögel und Kormorane. Ich wurde ein so guter Gelände-Läufer, dass man mich ins Schul-Team aufnahm. Ich gewann Wettläufe und bekam Medaillen, was allen zu gefallen schien, nicht zuletzt Herrn Mortimer. Wenn er nun mit den Augenbrauen wackelte, dann bewundernd und anerkennend.“
Zitat, Seite 36/37
Seine Kopien von Bens Gemälde, dass er sicher in einer Kiste verwahrt und dennoch detailgetreu im Kopf hat, finden Anklang beim Kunstlehrer. Sein Leben wird immer besser. Als Allens Mutter am Internat eine Anstellung als Französischlehrerin und in der Nähe der Schule eine Wohnung findet, darf Allen wieder zu seiner Mutter ziehen, wo er eines Tages auf einen Zeitungsartikel über den Leuchtturmwärter stößt. Er schreibt ihm erneut. Doch auch dieser Brief bleibt unbeantwortet. Allen lässt es nicht los, er will wissen, was aus dem alten Leuchtturmwärter geworden ist und so macht er sich auf den Weg nach Puffin Island. Zu seiner Überraschung wird nicht nur er, sondern auch ein verletzter Papageientaucher in Bens Leuchtturm gespült.
„Der kleine Vogel wurde zum Mittelpunkt unserer Welt, egal, wie sehr die Stürme tobten, egal, wie stark der Leuchtturm schwankte. Wenn wir ihn betrachteten, mussten wir lächeln. Nichts war uns wichtiger, als ihn fliegen zu sehen.“
Zitat, Seite 64
Hier sind wir ungefähr bei der Mitte des Buches angelangt, an der sich aus Allen und Ben ein wunderbar harmonisches Gespann aus Jung und Alt zusammenfügt, das sich fortan nicht nur rührend um den verletzten Papageientaucher kümmert, sondern auch die Liebe zum Malen, zu Büchern und zur Natur teilt. Das Leben entzweit die beiden Männer jedoch ein weiteres Mal, als Allen in den Krieg ziehen muss. Ungern möchte ich den weiteren Verlauf der Geschichte vorneweg nehmen, es jedoch nicht unerwähnt lassen, dass Allen erneut das Leben in all seiner Härte zu spüren bekommt.
Michael Morpurgo erzählt nicht nur eine berührende Geschichte über eine lebensverändernde Freundschaft, sondern auch über einen jungen Mann, der allen Hindernissen zum Trotz, seinen Platz im Leben findet. Es ist eine jener Geschichten, die Kindern das Leben mit all seinen Facetten aufzeigt, die ihnen Mut macht und sie darin bekräftigt, ihre Stärken und Talente zu entdecken und ihrem Herz zu folgen.
Und so sei dieses wunderbar atmosphärische und lehrreiche Kinderbuch allen kleinen und großen Leser*innen uneingeschränkt ans Herz gelegt. Dieses Buch, ein Leben.