Kinderfreuden #43: Eins mit der Natur

„Gigaguhl und das Riesen-Glück“ – Alex Rühle, Barbara Yelin

„Gigaguhl Gargantua war der größte aller Riesen. Er berührte fast den Himmel und er konnte Stürme niesen. Morgens aß er meistens Wolken. Mittags trank er einen See. Abends saß er tief im Walde, zwischen Bäumen, klein wie Klee.“

Irgendwann übermannt auch mal einen Riesen die Müdigkeit. Und so deckt sich Gigaguhl eines Tages mit der Sommerwiese zu und hält viele hundert Jahre Frühlings-, Sommer- und Winterschlaf. Auf den Weiten seines Rückens wächst über all die Jahre eine Stadt heran, in seinen Augenbrauen nisten Vögel, auf den Hügeln seines Nackens weiden Ziegen und in seinem Haarwald wohnt sogar ein Einhorn.

Als die Stadtkinder Nick und Nina sich eines Tages auf Entdeckungsreise in die Berge begeben und dabei nicht nur auf allerhand wundersame Flora und Fauna, sondern auch auf den Zugang zu einer geheimen Höhle stoßen, staunen sie nicht schlecht. Noch mehr aber, als sie merken, dass es sich dabei um einen Riesen handelt, in dessen Kopf sie durch sein Ohr gelangt sind. Als sie seine Nasenhöhlen als Rutsche auserkoren, kitzelt es dem Riesen gewaltig in der Nase und so werden sie mit einem gewaltigen Niesen wieder ins Freie befördert.

Gigaguhl möchte Nick und Nina zeigen, dass er größer als das größte Monster ist. Doch er weiß nicht, dass über all die Jahre seines Schlafes Leben auf der Erddecke gewachsen ist, mit der er sich damals zugedeckt hat. Es muss also ein Plan her, wie der mächtige Riese aufstehen kann, ohne Mensch und Tier um ihr Zuhause zu berauben.

Eckdaten

 

Gebunden, ab 4 Jahren

40 Seiten
18,3 x 29,4 cm
ISBN: 978-3-423-76286-1

Illustration: Barbara Yelin
Autor: Alex Rühle

dtv Junior
14,95 € [D]

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Blickwinkel aus großen Augen

Als große Naturliebhaberin war ich von der fantasievollen Geschichte des Riesen Gigaguhl, der während seines jahrhundertelangen Schlafes mit der Natur Eins wird, natürlich sofort angetan. Aber noch viel begeisterter war ich, als ich gemeinsam mit meiner Räubertochter entdecken durfte, wie Illustratorin Barbara Yelin die Kinder mit ihren bezaubernden Bildern durch den Wandel der Natur und den Entstehungsprozess von Leben schickt.

Auf außerordentlich kreative Weise lässt Yelin den Riesen Gigaguhl, der anfangs noch am Strand entlang spaziert und inmitten von Bäumen sitzt, durch das Zudecken mit einer Sommerwiese mit der Natur verschmelzen. Seine zugedeckte Gestalt wird zu einem Berg, auf dem eine Stadt heranwächst. Kaum einer nimmt ihn mehr wahr. Einzig und allein die Tiere wissen noch um seine Existenz, denn Gigaguhl liebt sie so sehr, dass er sie zu sich eingeladen, nichts dagegen hat, dass sie auf ihm wohnen. Selbst sein Gesicht, das unter der Erddecke hervorschaut, wird über die Jahre von den Tieren bevölkert. Und so tummeln sie sich in seinen Augenbrauen, in seinem Kopf- und Baarthaar, unter seinen Achseln und in seinem Ohr. Selbst sein Genick und der hervorlugende Arm betten sich in die Natur ein, verschwinden ganz in der Szenerie der Landschaft. Diese wunderbare Verschmelzung, die sich Seite für Seite auf Yelins wunderbaren Bildern vollzieht, können auch die Kleinen wahrnehmen. Viele Bildausschnitte nimmt man aber erst auf den zweiten Blick als Körperpartien des Riesen wahr. Und staunt nicht schlecht, was dabei so alles zu Tage tritt.

Kein Wunder also, dass auch Nick und Nina nicht bemerken, dass es sich bei dem geheimnisvollen Wald aus blauen Stämmen, den sie nach dem Erklimmen eines Hangs erreichen, um das Haar, und bei dem geheimen Höhleneingang um die Ohrmuschel des Riesen Gigaguhl handelt. Ganz unbewusst gelangen sie dadurch in seinen Kopf, bestaunen sein Gehirn, in dem Ideen, Träume und Farben, aber auch die zahlreichen Erinnerungen des Riesen wohnen. In seinen Nasenhöhlen entdecken sie für sich die längste Doppelrutsche aller Zeiten, auf der es sich vortrefflichst um die Wette rutschen lässt. Durch das daraus resultierende Gekitzel in der Nase wird der Riese aber aus seinem Schlaf gerissen und zu einem gewaltigen Niesen angeregt, der die beiden Kinder mit ordentlich Rotz und Wasser, Sträucher, Moos, Geröll und Schlamm wieder aus sich herausschleudert.

Freilich vermuten die Kinder in dem mächtigen Riesen, in dessen Augen sie nun blicken, ein Monster, von dem Gefahr ausgeht. Doch der freundliche Riese beschwichtigt sie, ist nahezu beleidigt, mit einem winzig kleinen Monster verglichen zu werden. Er will aufstehen, ihnen seine wahre Größe zeigen. Doch dass auf der Erddecke, mit der er zugedeckt ist, über all die Jahrhunderte Leben herangewachsen ist, hat er nicht bedacht. Die Kinder weisen ihn darauf hin und verhindern damit das Schlimmste. Doch dem Riesen kommt eine Idee. Mit einem Donnergrollen und einem selbst komponierten Lied kann er Hunderte seiner Tierfreunde dazu animieren, ihm aus seiner unglücklichen Misere zu helfen. Sie sind es, die sich für ihren riesigen Freund zu zahlreichen Tierpyramiden anordnen, um gemeinsam die Erddecke vorsichtig anzuheben, damit der Riese darunter hervorschlüpfen kann und die darauf entstandene Landschaft erhalten bleibt. Natürlich passiert das nicht ohne ein Erdbeben gleiches Zittern, das die darauf entstandene Stadt um ein Stück herabsinken lässt. Einzig und allein Nick und Nina wissen, was dahintersteckt.

Alex Rühle schenkt diesem Bilderbuch ganz wunderbar melodische Reime, die in perfektem Einklang zu Yelins Bildern stehen. Mit viel Facettenreichtum, Fantasie aber auch Gespür für die Sprache schafft er Zeilen, die sich auf ganz harmonische Weise an die lebendigen und naturnahen Illustrationen anschmiegen und daraus eine ganz runde Sache machen. Und so entsteht aus der Zusammenarbeit von Yelin und Rühle ein Kinderbuch, das sich Hören und Sehen lassen kann.

„Ich muss ganz woanders hinzieh’n, denn ich brauche Riesenruhe. Sprach’s und bückte sich und schnürte, seine Siebzehnmeilenschuhe. Winkte nochmal Nick und Nina und verschwand mit raschem Schritt, hinter sieben Bergen, und die meisten Tiere nahm er mit.“

Doch dem Riesen ist es nun zu laut geworden. Die Stadt, deren Treiben einen ungeheuren Lärm mit sich bringt, beraubt ihn um seine Ruhe, die er dort einst hatte. Und so lässt er seinen vertrauten Ort hinter sich, macht sich auf zu neuen Ufern. Durch diese Entwicklung treffen Yelin und Rühle den Nerv der Zeit und veranschaulichen mit ihrer Geschichte ein Stück weit auch die heutige Entwicklung. Denn es ist nicht nur die Unberührtheit und Stille, die die entstandene Stadt der Natur genommen hat, sondern auch der Lärm der Zeit, den die zahlreichen Autos, Laster, Straßen und Häuser mit sich bringen.

Die innige Verbundenheit, die den Riesen Gigaguhl mit der Natur und den Tieren verbindet, ist wunderbar mit anzusehen. Auch wie die Tiere, ganz egal wie klein sie sind, dem großen Riesen helfen können und damit ganz Großes schaffen. So wird schon den Kleinsten ein freundlicher und achtvoller Umgang mit Tier und Natur an die Hand gegeben und gezeigt, was man durch ein friedfertiges Miteinander schaffen kann. Die Liebe zum Detail, die Yelins Illustrationen zugrunde liegt, lädt die Kinder nicht nur ein, genauer hinzusehen, sondern auch die Schönheit in ganz kleinen Dingen zu erkennen.

Barbara Yelin und Alex Rühle gelingt mit „Gigaguhl und das Riesen-Glück“ eine wunderbare Geschichte über Zusammenhalt, über den Lauf der Natur und den Lärm der Zeit. Es ist eine fantasievolle Reise durch Flora und Fauna, auf die sie die Kinder schicken. Und was es mit dem Riesen-Glück im Titel auf sich hat, sollte jeder für sich selbst entdecken.

Blickwinkel aus kleinen Augen

Emmas Urteil:

 

Hat dir das Buch gefallen?

Ja

Worum geht’s im Buch:

Um einen Riesen

 

 

 

Lieblingsstelle im Buch:

Als die Tiere die Erddecke anheben, damit der Riese darunter hervorkriechen kann

Bester Leseplatz:

Auf dem Kuschelteppich

 

 

Was hat dir im Riesen am besten gefallen?

Die Doppelrutsche seiner Nasenhöhlen

Wird zu:

einer Entdeckerin

 

[Werbung, da Verlinkung im Text. Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom dtv Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.]

 

4 Kommentare zu „Kinderfreuden #43: Eins mit der Natur

  1. Freut mich immer, wenn Du schilderst, was und wie Du mit der Räubertochter liest und daraus eine Doppel-Besprechung gestaltest.
    Beim vollen Namen des Riesen klingelte als erste Assoziation:
    „Gargantua und Pantagruel ist ein Romanzyklus von François Rabelais, dessen fünf Bände 1532, 1534, 1545, 1552 und 1564 erschienen …“ aus:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gargantua_und_Pantagruel
    Literarische Riesen leben länger … !
    Dankeschöne Grüße
    Bernd

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    1. Lieber Bernd,

      es ist mir völlig unbegreiflich, dass mir dein Kommentar durch die Lappen gegangen ist und er deshalb über 3 Monate unbeantwortet blieb.

      Es freut mich sehr, dass dir meine Doppel-Besprechungen so gut gefallen. Ich finde es tatsächlich überaus interessant, dass das Bilderbuch diese Assoziation in dir hervorgerufen hat. Könnte ja durchaus sein, dass der Autor sich davon inspirieren hat lassen. Ich finde, das Ergebnis seiner Arbeit kann sich mehr als sehen lassen.

      Liebe Stöbergrüße,
      Steffi

      Gefällt 1 Person

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