#diesertageinleben 2: Das stärkste Mädchen der Welt

Wie alles begann

„Pippi ist ein Einfall, keine von Anfang an durchdachte Figur. Freilich war sie von Anfang an bereits ein kleiner Superman – stark, reich und unabhängig.“

Astrid Lindgren in einem Interview des Svenska Dagbladet, 24. Dezember 1967

Ich möchte heute, in der Woche ihres 75. Geburtstags, mit Lindgren’s Figur „Pippi Langstrumpf“ beginnen. Denn wenn man es genau nimmt, haben wir Pippi all die vielen Geschichten von Astrid Lindgren zu verdanken, die es nach ihr zur Veröffentlichung schafften. Sie hat quasi den Grundstein für Lindgrens Karriere als Kinderbuchautorin gelegt. Vielleicht war es es aber auch der Verdienst von Bibliothekarin Elsa Olenius, die sich damals dafür eingesetzt hat, dass es das stärkste Mädchen der Welt überhaupt in den Buchhandel geschafft hat. Denn die Geschichte, die Lindgren im Frühjahr 1941 für ihre an Lungenentzündung erkrankte Tochter Karin erfand und 1944 niederschrieb, als sie wegen eines verstauchten Knöchels bettlägerig war, musste erst einige Hürden überwinden, bevor sie endlich die Kinderzimmer außerhalb der Lindgren-Familie stürmen konnte.

Wusstest du es?

Der Name Pippi Langstrumpf war ein spontaner Einfall von Lindgrens Tochter Astrid

Elsa Olenius, die 1944 in der Jury eines Schreibwettbewerbs von Rabén & Sjögren saß, an dem Lindgren mit ihrer Geschichte „Britt-Mari erleichtert ihr Herz“ teilgenommen und den zweiten Preis gewonnen hatte, und zudem als Lektorin beim Verlag arbeitete, war sicher die Erste, die das Potential der Pippi-Geschichten erkannte. Deshalb sorgte sie auch dafür, dass Lindgren im darauffolgenden Jahr mit ihrem überarbeiteten Pippi-Manuskript den ersten Preis beim Schreibwettbewerb desselben Verlages einheimste. Dass die Geschichte der frechen Seemannstochter dann aber auch gedruckt wurde, haben wir sicherlich Olenius‘ unermüdlichen Einsatz zu verdanken. Ein Jahr zuvor hatte Lindgren ihr Manuskript noch hoffnungsvoll an den großen Bonnier Verlag geschickt und nach langer Wartezeit eine Ablehnung erhalten. Es hieß, der Verlag habe sein Kinderbuchprogramm für die nächsten zwei Jahre bereits finalisiert, in Wahrheit empfand der Verleger Gerard Bonnier, selbst Vater von kleinen Kindern, die Geschichte der selbstbewussten Pippi einfach zu anspruchsvoll.

1945 durfte Pippi dann endlich unter dem Dach von Rabén & Sjögren die Welt erobern und schaffte es 1949 auch nach Deutschland. Die Geschichte, die wir unter dem Titel „Pippi Langstrumpf“ kennen, weicht allerdings von den elf Kapiteln der Ur-Pippi, die Lindgren ihrer Tochter zum zehnten Geburtstag schenkte, ab. Im Original war Pippi noch viel frecher und verrückter als wir sie heute kennen. Hättest du das für möglich gehalten? Das Original-Manuskript von Pippi Langstrumpf erschien 2007 anlässlich des 100. Geburtstages von Astrid Lindgren unter dem Titel „Ur-Pippi“.

Wusstest du es?

Da Lindgren die Geschichte als Geburtstagsgeschenk für ihre Tochter Karin niederschrieb, hat Pippi Langstrumpf am exakt gleichen Tag wie Karin Geburtstag, am 21. Mai.

Das Pippi-Fieber bricht aus

Zur Veröffentlichung von „Pippi Langstrumpf“ ist in Schweden ein regelrechtes Pippi-Fieber ausgebrochen, das seinen Höhepunkt 1949 im Park Humlegården zum „Tag des Kindes“ fand. Zehntausende von Eltern und Kindern stürmten an diesem Tag den Park, in dem eine Art Pippi-Themenpark aufgebaut war. Alle wollten Pippi, ihren kleinen Affen Herrn Nilsson und ihr Pferd vor der Villa Kunterbunt sehen. Es kam dabei zu tumultartigen Szenen:

„Kinder und Eltern drängten sich um die große Villa-Kunterbunt-Bühne in der Mitte des Parks, um eine Runde auf Pippis Pferd zu reiten, am Wettbewerb um die beste Pippi-Verkleidung teilzunehmen oder um einige der glitzernden Goldmünzen zu erwischen, die laut Programm zwei Mal am Tag vom Himmel „regnen“ sollten. Die Schlange zum Miniaturzug „Pippi-Express“, der durch Humlegården tuckerte, war kilometerlang, und die Bahn hatte so prominente Passagiere wie Carl Gustaf, den „Kleinen Prinzen“ von Schweden, und seine ältere Schwester Christina an Bord.“

Auszug aus Jens Andersens Biografie „Astrid Lindgren – Ihr Leben“

Die Einflüsse des Krieges

Als ich die Geschichte von Pippi Langstrumpf als Jugendliche kennen und lieben gelernt hatte, spielte die Zeit ihres Entstehens natürlich keine wirkliche Rolle für mich. Der kecke Rotschopf gefiel mir auf Anhieb, diente mir bei meiner persönlichen Entwicklung als großes Vorbild. Ich wollte genauso frech, mutig und selbstbewusst sein wie sie und trieb mitunter zu Fasching als Pippi mein Unwesen.

Heute bin ich um einige Informationen reicher, weiß, dass Pippi in einer der schlimmsten Phasen des Zweiten Weltkriegs und damit in einer sehr menschenverachtenden und emotional abgestumpften Zeit entstanden ist. Der Krieg hinterließ bei vielen seine Spuren, auch bei Lindgren. Ihre Abscheu vor Gewalt und Totalitarismus ist im Wesen ihrer Pippi gut zu erkennen. In Astrid Lindgrens Kriegstagebüchern von 1939 – 1945, die unter dem Titel „Astrid Lindgren – Die Menschheit hat den Verstand verloren“ sind, wird außerdem deutlich, dass nicht nur der Krieg selbst, sondern auch einzelne Personen (wie z.B. Hitler, Stalin und Mussolini) für manche Pippi-Geschichten von Bedeutung waren.

Lindgrens Haltung zu Hitler, die eine Mischung aus Abscheu und Faszination war, mündete sogar in einer Art Hitler-Satire. Im Kapitel „Pippi im Zirkus“ wird Hitler zu einem cholerischen Zirkusdirektor in schwarzem Frack und Peitsche, der sich einigen Kraftproben mit dem frechen Rotschopf stellen musste. Pippi, die anfangs noch im Publikum sitzt, und später auf den Rücken eines der Pferde in der Manage springt, tanzt dem energischen Zirkusdirektor derart auf der Nase herum, dass seine diktatorische Ordnung in der Manege irgendwann völlig im Chaos versinkt.

Wenn es im wahren Leben doch auch so eine mutige Pippi gegeben hätte!

Die Rechte der Kinder

Entgegen vieler Vermutungen zielte Astrid Lindgren mit ihrem starken Mädchen wohl nicht in eine spezielle pädagogische Richtung ab, sondern erweckte Pippi vielmehr als Antwort auf die Brutalität und Bosheit des Krieges zum Leben. Sie versah ihr Heldin mit all den Charaktereigenschaften, die zu der Zeit sehr rar waren. Sie ließ sie stets gut gelaunt, gütig, großzügig, furcht- und vorbehaltslos werden. Aber eben auch verrückt, laut und ungezogen. Pippis Kraft war und ist ungeheuerlich! Das wurde nicht nur anhand ihrer Stärke (mit der sie mal eben ihr Pferd hochhebt), sondern auch ihres Charakters deutlich. Darum lieben sie Kinder wohl auch damals wie heute. Sie macht sich die Welt einfach „widde widde wie sie ihr gefällt“; schert sich nicht, was die Erwachsenen von ihr denken, und fordert vehement ihre Rechte als Kind ein. Auch stellvertretend für die anderen Kinder.

Wusstest du es?

Astrid Lindgren hat sich zeitlebens für die Rechte der Kinder eingesetzt und wurde 1978 als erste Kinderbuchautorin für ihr Engagement mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Mancherorts behauptete man ja, dass die unkonventionelle Pippi nur so legendär geworden wäre, weil sie während der Zeit der Kindererziehungsdebatten in Schweden zu ihrer Veröffentlichung fand. Überall ist Lindgren mit ihrem starken Mädchen angeeckt und hat für mächtig Schlagzeilen gesorgt. „Pippi Langstrumpf“ hat eine heftige Lawine an Diskussionen über Kindererziehung in Gang gesetzt. Denn Pippis Verhalten duldete man bei den eigenen Kindern nicht. Viele Erwachsene befürchteten, dass der freche Rotschopf, der seinen ganz eigenen Regeln folgte, ein schlechtes Beispiel für die Kinder sei. Auf lange Sicht haben sich diese Befürchtungen aber nicht bewahrheitet. Die Geschichten von Pippi dienten und dienen noch heute den Kindern als Zufluchtsort; ein Ort, an dem alles möglich ist. Astrid Lindgren gab den Kindern Pippi zur Freundin.

„Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selber überlässt, dass sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen. Verhaltensnormen brauchen wir alle, Kinder und Erwachsene, und durch das Beispiel ihrer Eltern lernen die Kinder mehr als durch irgendwelche anderen Methoden.“

Astrid Lindgren in ihrer Dankesrede 1978, die unter dem Titel „Niemals Gewalt“ erschienen ist 

Vom Buch zum Film

1969 wurde Pippi Langstrumpf erstmals mit Inger Nilsson in der Hauptrolle verfilmt. Insgesamt sind vier Spielfilme und eine 21-teilige Fernseh-Serie entstanden. Allerdings unterscheiden sich die Filme von den Büchern, selbst wenn Astrid Lindgren dafür die Drehbücher geschrieben hat. Denn natürlich kam es zu einigen Anpassungen für die Filme.

So trägt Pippi ihren 4.Vornamen „Schokominza“ beispielsweise nur nur in den Filmen, während im Buch an dieser Stelle „Pfefferminz“ steht. In den Büchern stellt sich Pippi das erste Mal im Kapitel „Pippi geht in die Schule“ mit ihrem vollständigen Namen vor, als sie von der netten Lehrerin danach gefragt wird.

„Ich heiße Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf, Tochter von Kapitän Efraim Langstrumpf, früher Schrecken der Meere, jetzt Negerkönig. Pippi  ist eigentlich nur mein Kosename, denn Papa meinte. Pippilotta wäre zu lang.“

Was wir von Pippi lernen können

Im Internet stößt man auf eine ganze Reihe an scheinbaren Pippi-Zitaten, die über die Jahre einen gewissen Bekanntheitsgrad erfahren haben. Oft handelt es sich jedoch um Zitate, die ich weder den Pippi-Büchern noch den -Filmen zuordnen kann. Nachfolgend möchte ich euch ein paar meiner ganz persönlichen Lieblings-Pippi-Zitate verraten, die in der Pippi-Gesamtausgabe  von 1978 zu finden sind.

In vielen Aussagen von Pippi steckt sehr viel Wahrheit, auch wenn die Formulierung natürlich die eines Kindes ist. Sie verdeutlichen wunderbar Pippis starken Charakter. Denn Pippi ist nicht nur frech, ungezogen und mutig, sondern auch sehr schlau und gewitzt. Sie spricht oft das aus, was andere denken. Und deshalb dient Pippi nicht nur den Kindern, sondern auch den Erwachsenen gewissermaßen als Vorbild. Man muss die Botschaft der Aussagen nur richtig verstehen.

„Warum bist du rückwärts gegangen?“ „Warum ich rückwärts gegangen bin?“ sagte Pippi. „Leben wir etwa nicht in einem freien Land? Darf man nicht gehen, wie man möchte?“

Pippi zieht in die Villa Kunterbunt ein, Seite 15

„Am besten, ihr geht jetzt nach Hause“, sagte Pippi, „damit ihr morgen wiederkommen könnt. Denn wenn ihr nicht nach Hause geht, könnt ihr ja nicht wiederkommen. Und das wäre schade.“

Pippi zieht in die Villa Kunterbunt ein, Seite 20

„Ich hab schon einen Platz im Kinderheim“, sagte Pippi. (…) „Ich bin ein Kind. Und das ist mein Heim, also ist es ein Kinderheim.“

Pippi spielt Fangen mit Polizisten, Seite 36

„Liebe Kinder, ihr sollt ja auch eure Geburtstagsgeschenke haben“, sagte sie. „Ja, aber – wir haben doch gar nicht Geburtstag“, sagten Thomas und Annika. Pippi sah sie erstaunt an. „Nein, aber ich hab Geburtstag, und da kann ich euch ja wohl auch Geschenke machen! Oder steht irgendwo in den Schulbüchern, dass man das nicht kann?“

Pippi feiert Geburtstag, Seite 135

„Annika“, rief Pippi streng, „was machst du da? Merk dir, dass Eine-Wirklich-Feine-Dame sich nur in der Nase bohrt, wenn sie allein ist!“

Pippi macht einen Schulausflug mit, Seite 197

„Annika fragte: „Dürfen wir mit den Fingern essen?“ „Meinetwegen gern“, sagte Pippi. „Aber ich halt mich an den alten Trick, mit dem Mund zu essen.“

Pippi erleidet Schiffbruch, Seite 236/237

„Ach was“, sagte Pippi. „Wenn das Herz nur warm ist und schlägt, wie es schlagen soll, dann friert man nicht.“

Pippi verlässt die Taka-Tuka-Insel, Seite 379

„Erbsen!“ sagte Thomas erstaunt. „Glaubst du, was?“ sagte Pippi. „Das sind keine Erbsen. Das sind Krummeluspillen. Ich hab sie vor langer Zeit in Rio von einem alten Indianerhäuptling gekriegt, als ich gerade mal sagte, dass mir nicht so viel daran läge, groß zu werden. (…) Man muss sie im Dunkeln nehmen, und dazu muss man sagen: „Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß.“

Pippi Langstrumpf will nicht groß werden, Seite 386

„Was in aller Welt ist mit euch los?“, fragte Pippi gereizt. „Ich will euch nur sagen, dass es gefährlich ist, zu lange zu schweigen. Die Zunge verwelkt, wenn man sie nicht gebraucht.“

Pippi geht an Bord

Quellen

„Astrid Lindgren – Ihr Leben“ – Jens Andersen (DVA, 2014)

„Die Menschheit hat den Verstand verloren – Astrid Lindgren“ (Tagebücher 1939-1945, Ullstein, 2015)

Pippi Langstrumpf – Astrid Lindgren (Gesamtwerk, Oetinger, 1978)

„Niemals Gewalt“(Astrid Lindgrens Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, 1978)

efraimstochter.de (Pippi Langstrumpf Fanseite)

4 Kommentare zu „#diesertageinleben 2: Das stärkste Mädchen der Welt

    1. Hallo Bernd,

      vielen Dank für deine Zeilen. Freut mich, dass ich dir ein bisschen was zu Pippi verraten konnte. Ich hab die „Ur-Pipi“ auch noch auf dem Wunschzettel stehen. Denn eine noch frechere Pippi ist kaum vorstellbar, aber sehr interessant.

      Liebe Grüße
      Steffi

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