Wenn Worte beflügeln

lesenslust über „Der Wörterschmuggler“ von Natalio Grueso

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Als Bruno Lapastide, Zeit seines Lebens als Vagabund, Charmeur und leidenschaftlicher Geschichtenerzähler im Land unterwegs, in Venedig die geheimnisvolle Japanerin Keiko kennenlernt, ist es wie um ihn geschehen. Doch um ihr Herz zu gewinnen, bedarf es viel mehr Einsatz als sonst. Denn was die junge Japanerin mit dem scheuen Lächeln und den honigfarbenen Augen betört, ist nicht sein Charme, sondern vielmehr das geschriebene Wort.

„Für sie zählten einzig und allein die Worte, der geschriebene Vers, das zu Papier gebrachte Gefühl.“

Zitat, Seite 11

Jeden Abend bei Sonnenuntergang öffnet Keiko die Briefe ihrer zahlreichen Verehrer. In ihrem Briefkasten stecken Umschläge voll unbändiger Lyrik, klarer Worte und purer Leidenschaft. Auch die Briefe von Lapastide gesellen sich dazu. Während seiner Reisen um die Welt hat der Abenteurer so viele Geschichten gesammelt, dass es ihm ein Leichtes erscheint, seine Mitbewerber auszustechen. Mit seinen raffinierten Zeilen will er das Herz der jungen Japanerin ganz für sich gewinnen.

„Wörter waren der einzige Schlüssel, der die Türen zum Paradies öffnete. (…) Um die Schwelle des magischen Bordells von Dorsoduro zu überschreiten, musste man etwas gänzlich Wohlklingendes erschaffen, Verse, Gedichte oder wundersame Geschichten ersinnen, die berührten. Nur wer es schaffte, Keikos Herz zu liebkosen, erwarb sich auch das Privileg, ihren Körper zu liebkosen.“

Zitat, Seite 225

Doch schon bald ringt der leidenschaftliche Geschichtenerzähler um Worte und die Quelle der Inspiration versiegt. Wird es ihm dennoch gelingen, Keikos Herz zu erobern?

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„Der Wörterschmuggler“ birgt nicht nur eine, sondern zahlreiche Geschichten in sich. Er erzählt von einem Geschichtenerzähler, der sich seiner Eindrücke als Weltenbummler bedient, um eine ganz besondere Frau zu berühren. Denn die Japanerin Keiko lässt sich von Worten betören. Als Gegenleistung bietet sie ihren Körper. Für eine Nacht.

Doch Lapastide will Keiko ganz für sich alleine haben und so schreibt er sich die Finger wund. Er erzählt von einer Zeit, in der man Wörter schmuggelt, weil man für sie bezahlen muss und ein Junge sie braucht um dem Mädchen seines Herzens seine Liebe zu gestehen; von einem Mann, der Bücher wie Medizin fürs Leben verschreibt, und damit so manches Schicksal mitbestimmt oder von einem berühmten Moderator, der seine Karriere opfert, um den Herzenswunsch seines Großvaters zu erfüllen. Geschichten voller Leidenschaft. Lebendig. Schräg. Fantasievoll.

Natalio Gruesos Debüt ist alles, aber definitiv nicht alltäglich. Die darin verborgenen Geschichten sprudeln vor Kreativität und Lebendigkeit und lesen sich nicht nur atmosphärisch, sondern auch noch erstaunlich leicht. Viele Zeilen wirken im ersten Moment unbekümmert, obwohl sie von erstaunlicher Tiefe und Einsamkeit getränkt sind. Der Autor, der Regisseur am Teatro Espanol und am Institut für Performing Arts of the City of Madrid ist, versteht es, seine einzelnen Geschichten raffiniert ineinander zu verschachteln. Wie Puzzleteile setzt er sie  Stück für Stück aneinander und präsentiert den „Wörterschmuggler“ als großes Ganzes.

Während wir den Protagonisten Lapastide sehr gut kennenlernen, bleibt die Japanerin Keiko geheimnisumwoben und unnahbar. Ihr Wesen verzaubert nicht nur Lapastide, sondern auch den Leser, weshalb wir uns Seite für Seite durch die Geschichte locken lassen, in der Hoffnung mehr über sie zu erfahren.

Gruesos Geschichte begegnet uns wie eine Gutenachtgeschichte am Abend, die Eltern ihren Kindern vorlesen, um sie ins Land der Träume zu begleiten. Sie lummelt dich ein, bettet dich in ein weiches Nest aus federleichten Zeilen und wohliger Wärme.

„Abschiede sind stets seltsame Augenblicke. Sie sind geprägt von einer Nostalgie gegenüber dem Erlebten, nicht Wiederholbaren, von der Aufregung angesichts der ungewissen Zukunft, der neuen Vorhaben und der kommenden Abenteuer. Auch von dem Glück über die Freunde, die wir gewonnen haben, und von der Melancholie, die uns unweigerlich überfällt, wenn etwas zu Ende geht, wenn ein Kapitel unseres Lebens abgeschlossen wird.“

Zitat, Seite 165

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4 Kommentare zu „Wenn Worte beflügeln

  1. Liebe Stephanie,

    „Der Wörterschmuggler“ hat mich nicht ganz überzeugt, und ich hätte doch sehr gerne etwas mehr über die geheimnisvolle Kiko erlesen.

    Gleichwohl harmonieren die skizzenhaften Charaktere gut mit dem lose verknüpften, fragmentarisch-episodenhaften Erzählstil dieses Romans, der neben sinnlichem Charme, Menschenkenntnis und Abenteuerlust einen tiefempfundenen Geschmack von Einsamkeit hat.

    „Das Gewicht der Erinnerung kann unerträglich sein, und es ist schwer zu sagen, welche mehr schmerzen, die glücklichen oder die unglücklichen. Am Ende sind sie alle traurig.“ (Seite 119)

    Die Romankomposition hat jedoch keinen langen literarischen Atem. Die poetische Potenz der einzelnen Geschichten erzeugt kein substanzielles erzählerisches Gesamtbild. Vereinzelte literarische Sterne bilden noch kein Firmament. Für anspruchsvolle Leser bleibt hier manches zu wünschen übrig.

    „Der Wörterschmuggler“ enthält auf der anderen Seite viele feine Erzählideen, Figurenentwürfe und Impulse, die eine ausführlichere schriftstellerische Ausarbeitung und mehr Tiefenschärfe verdient hätten.

    Falls Du meine ganze Rezension lesen magst, hier folgt der Link:
    https://leselebenszeichen.wordpress.com/2015/10/08/der-woerterschmuggler/

    Herbstblättrige Grüße
    Ulrike von Leselebenszeichen

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    1. Liebe Ulrike,

      vielen Dank für deine Zeilen. Du hast Recht, Kiko blieb sehr rätselhaft und undurchsichtig. Auch ich hätte mehr über sie und ihre Hintergründe erfahren. Die von dir erwähnte Textstelle hatte ich gar nicht mehr im Kopf, wodurch mir mal wieder vor Augen geführt wird, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen einzelner Leser sind.

      Einen langen literarischen Atem hat die Geschichte tatsächlich nicht, weswegen ich sie versucht habe, als Einschlaflektüre zu präsentieren, die dich wohlig einlummelt und dich die Geschichte in deinen Träumen fortsetzen lässt. Vielleicht ist es mir in meinen Zeilen nicht gelungen, dies besonders hervorzuheben.

      Ich bin über dein Feedback immer sehr dankbar. Deine Rezension liest sich wunderbar. Sie ist allerdings auf einem viel höheren sprachlichen Niveau angesiedelt als meine.

      Herbstliche Stöbergrüße
      Steffi

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