Liljankukka..

lesenslust über „Liebten wir“ von Nina Blazon

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„Fotos verraten alles. Sie zeigen das, was gezeigt werden soll – aber darüber hinaus zeigen sie die Lücken in den Familien, die schadhaften Stellen am Haus. Den Schimmel, halb versteckt hinter Girlanden von lächelnden Mündern. Sie zeigen Gesten und Berührungen, halb unbewusst ausgeführt.“

Zitat, Seite 18

Immer häufiger geraten mir in diesem Jahr Romane in die Hände, die sich mit feuchtfröhlichen Cover tarnen und mich dann unerwartet flashen. Auch Nina Blazons “Liebten wir” gesellt sich zu den Werken, die den Überraschungseffekt für sich genutzt haben. Damit schenkt mir Blazon eine weitaus komplexere Geschichte, als anfangs vermutet. Schon nach wenigen Seiten hatte mich die Autorin mit ihren mitreissenden Zeilen für sich gewonnen: ich sog sie ein wie die Luft zum Atmen.

„Worte lassen sich nicht abstreifen. Sie haben Widerhaken und verfangen sich in der Seele.“

Zitat, Seite 190

“Liebten wir” präsentiert sich wie ein inniges, hitziges und emotionales Unterfangen gleich einem finnischen Tango. Nur schwer kann man sich am Ende von der Intimität lösen, die vom Roman ausgeht. Ein ergriffener Seufzer schlüpft über meine Lippen. Denn ein weitreichendes Netz aus emotionalen Abgründen liegt hinter mir. Ein Geflecht, das nicht nur aus geschichtlichen Ereignissen, sondern auch aus dramatischen Lebensgeschichten, düsteren Familiengeheimnissen und landestypischen Raffinessen eines mir fremden Landes geknüpft ist.

Die Geschichte beginnt recht schlicht bevor sie rasant an Fahrt aufnimmt. Blazon gibt uns Protagonistin Mo an die Hand, die beim Familienfest ihres Freundes Leon dessen Familie kennenlernen soll. Doch die leidenschaftliche Fotografin, die fern ab ihrer Kamera eine ungeschützte Position einnimmt, wird nicht annähernd so herzlich empfangen, wie sie es sich wünscht. Worte treffen wie Blitze aufeinander. Gesten verraten Abneigung. Fakten zerstören Träume.

„Perlende Tonbögen, die sich in die Luft erheben und wieder abfallen. Geschirr klappert, vermischt sich mit Sprachmelodien. Ich sollte Teil dieser Töne und Satzfetzen sein, mich einfügen in Parabeln und Wortstakkato. Stattdessen klingt Danaes Lachen laut heraus. Für einen Moment bohrt sich die Verzweiflung in mein Zwerchfell wie eine kleine, heiße Kinderfaust. Es ist wie früher: sie im Licht, ich im Schatten.“

Zitat, Seite 77

Mo’s schwaches Selbstbewusstsein und ihre zerrütteten Familienverhältnisse werden dem Leser recht schnell bewusst. Sie versteckt sich leidenschaftlich gerne hinter ihrer Kamera und wirkt ohne sie verloren und schutzlos. Zu ihrer selbstbewussten Schwester Danae hat sie ein sehr gespaltenes Verhältnis, weshalb ihr Wunsch nach einer intakten Familie fast übermächtig scheint. Es verwundert daher nicht, dass das geplante Miteinander nach dem Erscheinen von Danae zum Gegeneinander wird und Mo sich plötzlich auf der Flucht dieses familiären Horrorszenarios im Familienwagen von Leon wiederfindet, seine mürrische alte Oma im Gepäck. Auch nach mehreren Versuchen lässt sich die kauzige Alte nicht abstreifen, darauf beharrend, Mo zu begleiten. Ihre Anwesenheit sei der Familie eh längst lästig geworden. Alles, was sie wolle, sei in Richtung Norden zu verschwinden.

„Mit siebzig bist du immerhin ein Noch-Mensch. Jeder wundert sich laut, dass du noch die Zeitung liest, noch selber einkaufen gehst, noch fit bist. Aber werde älter, falle die Treppe runter, komm mal aus dem Tritt, und sie machen Plankton aus dir.“

Zitat, Seite 140

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Mo gibt nach und braust mit der 85-jährigen Aino davon. Nach Finnland, Ainos Heimat, in der ihr einst ein Mann den Kosenamen Liljankukka (finnisch für Lilienblüte) gab und in der auf die beiden grundverschiedenen Frauen heiße finnische Tangotänze, berauschende Begegnungen und geheime Lebensgeschichten warten.  Aus der anfänglichen Antipathie zwischen Mo und Aino wächst langsam aber sicher Zuneigung und schon bald ernten die beiden Frauen Früchte aus ihrer gemeinsamen Reise in den Norden. Sie erkennen, dass die Schatten der Vergangenheit lebenslang an einem haften, wenn man sich ihnen nicht stellt.

„Der Tango ist heiß, weich und zärtlich. In diesem Land fassen sich die Leute nicht einfach so an. In Finnland lässt man einander den Vortritt (…) um Körperkontakt zu vermeiden. Nur beim Tango kommt man sich so nahe wie sonst nie. Deshalb sind hier alle so verrückt danach. Das ist die innigste Liebeserklärung, die du bekommen kannst.“

Zitat, Seite 338

„Dieser Tanz hier ist wie das träge, sinnliche Ineinanderfließen von Öl, ein katzenhaftes Schleichen, Wiegen und Schieben, Körper an Körper, mit genau gesetzten Schritten, weich und verzögert. Die getanzte Erlaubnis, einander zu spüren. Niemand lacht. Nähe ist eine ernste Angelegenheit.“

Zitat, Seite 417

Der finnische Tango spielt im Roman eine zentrale Rolle. Er ist dem bekannten Tango Argentino der 30er Jahre in gewissen Punkten ähnlich, unterscheidet sich aber in der Tonleiter und besitzt eine eher absteigende als aufsteigende Melodie. Die Texte werden auf Finnisch, manchmal aber auch auf Schwedisch gesungen. Der Tango ist in Finnland vor allem bei den älteren Finnen sehr beliebt. Auch Leons Großmutter Aino liebt den Tango und verbindet damit eine Reihe von Begegnungen aus der Kriegszeit. Während der südamerikanische Tango eher als eine kunstvolle Performance gilt, wird der finnische Tango als reines tänzerisches Vvergnügen angesehen, weshalb sich machmal ganz unerwartet Menschenmengen auf offener Straße zu einer Art „Tango-Flashmob“ zusammenfinden, um sich ihrer Leidenschaft fürs Tanzen hinzugeben. Auch im Roman wird man Zeuge von einer derartigen Ansammlung tanzbegeisterter Menschen.

Blazons atmosphärische Zeilen zaubern eine berauschende Geschichte um Liebe, Freundschaft, familiären Zusammenhalt und Verrat. Mit ihrem lebendigen Schreibstil transportiert sie eine Hülle an Emotionen, die sich vor der Kulisse Finnlands im Takt eines finnischen Tangos wiegen. Es wäre nicht fair, mehr über den Verlauf der Geschichte zu verraten, weil die überraschende und facettenreiche Entwicklung ganz klar zu den Stärken des Romans zählt. Der Roman sei daher all denjenigen unter euch ans Herz gelegt, die sich selbst ganz unvoreingenommen auf eine Entdeckungsreise nach Finnland begeben wollen.

„Einen langen Atemzug lasse ich sie zu: die Sehnsucht. Sie setzt wie die Pfote einer Katze auf meinem Herzen auf, erst weich, dann fester, bis die Krallen spürbar werden.“

Zitat, Seite 38

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<3 <3 <3 <3 <3

A Single Breath..

lesenslust über „Der Sommer, in dem es zu schneien begann“ von Lucy Clarke

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„Jackson zieht sich die Mütze über die Ohren und wirft noch einen Blick auf Eva, die sich im Bett zusammengerollt hat, die Bettdecke unter das Kinn gestopft. Mit geschlossenen Augen murmelt sie schläfrig etwas vor sich hin. Geh nicht, soll das heißen. Aber er muss gehen. Er kann nicht neben ihr liegen, wenn er sich so fühlt wie in diesem Moment.“

Zitat, Seite 5

Seit Monaten plant Eva gemeinsam mit ihrem Mann dessen australische Heimat, die Insel Tasmanien, zu bereisen. Doch nur wenige Monate nach der Hochzeit wird Jackson beim Angeln von einer Welle erfasst. Man nimmt an, dass er beim Kampf mit dem tosenden Meer ertrunken ist. Eva ist verzweifelt und beschließt, sich alleine auf die Reise in Jacksons Heimat zu begeben. Sie hofft auf Trost im Kreis seiner Familie, doch was sie empfängt, ist Ablehnung und Schmerz. Auch Vater und Bruder scheinen mit dem Verlust von Jackson, der vor zwei Jahren fluchtartig das Land verlassen hat, nicht umgehen zu können.

Doch die Verzweiflung in Evas Augen und ihre unermüdliche Suche nach der Wahrheit erweicht langsam aber sicher die beiden Männer. Was sie zu erzählen haben, ist nicht das, was Eva sich erhofft hat: Sie sieht sich schon bald mit einer schockierenden Wahrheit konfrontiert, die sie zu einem schicksalhaften Sommer in der Vergangenheit führt – dem Sommer, in dem es zu schneien begann.

Quelle: Piper Verlag
Quelle: Piper Verlag

„Ihre Gedanken verlieren sich in alle möglichen Richtungen. Sie balancieren über weit voneinander entfernte Erinnerungen hinweg, graben Fetzen der Geschichte aus und kreisen unentwegt um das Wörtchen warum.“

Zitat, Seite 205

Lucy Clarke entführt uns in ihrem zweiten Roman „Der Sommer, in dem es zu schneien begann“ ins raue Tasmanien: Die australische Inselwelt mit ihren bizarren Felsküsten, atemberaubenden Landschaften und ihrer bunten Unterwasserwelt scheint dabei der perfekte Hintergrund für ihre vielschichtige Geschichte, in der Clarke uns auf eine emotionale und  atmosphärische Reise mitnimmt.

Selten packt mich die Vorfreude auf ein Buch so sehr, wie sie es bei diesem Werk getan hat. Der Roman, der schon von außen eine wahre Entdeckungsreise ist, hat mich von Anfang an für sich gewonnen. Sowohl Farbgebung und Gestaltung des Covers, als auch Titel stehen im perfekten Einklang zur Geschichte. Die blauen Wellen verkörpern das Meer, das im Roman eine zentrale Rolle spielt und der Titel trägt den Namen des schicksalhaften Ereignis, auf dem Jacksons Persönlichkeit beruht. Eine stimmungsvollere Aufmachung scheint mir nahezu unmöglich!

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Clarke erzählt ihre Geschichte aus wechselnden Perspektiven. Neben dem Blick auf die verzweifelte Eva wird der Leser mit persönlichen Zeilen von Jackson konfrontiert, die uns das Gefühl vermitteln, Jackson begleite uns. Im Gegensatz zu anderen Romanen, in denen der Verlust eines Menschen im zentralen Mittelpunkt steht, präsentiert uns Clarke ein breitgefächertes Werk, das sich neben dem Leitthema auch noch mit den Themen Geschwisterliebe, familiären Zusammenhalt und der Suche nach Anerkennung auseinandersetzt.

Es geht um Enttäuschung, Wut und Verzweiflung. Um Leidenschaft, Liebe und Vergebung.

Mit Eva zeichnet Clarke eine starke Persönlichkeit, die sich auch durch den Verlust ihres Ehemannes nicht ausschließlich ihrer Trauer hingibt, sondern sich auf die Suche nach der Wahrheit macht und dabei das Land Tasmaniens in seiner ganzer Pracht entdeckt. Sie leidet still, vermeidet leidensvolle Gefühlsausbrüche und macht die Story daher nicht weinerlich, sondern emotional und ausdrucksstark.

Mit „Der Sommer, in dem es zu schneien begann“ ist Clarke ein beeindruckendes Werk gelungen, das uns nach „Die Landkarte der Liebe“ erneut mit der schicksalhaften Macht des Lebens konfrontiert. Seite um Seite beginnt das Fundament von Jacksons und Evas Liebe zu bröckeln. Der Schein von einer heilen Welt wird von einer erschreckenden Wahrheit abgetragen und zeigt uns wie unverzichtbar Ehrlichkeit und Vertrauen ist. Ein emotionales Werk, dessen Seegang mich durch alle Gefühlslagen geschaukelt und mich durch seine Bandbreite begeistert hat. Es scheint diesen Sommer unausweichlich, mit Schnee in Berührung zu kommen!

<3 <3 <3 <3 <3

„Das Leben hat die Neigung, dich auf unerwartete Pfade zu führen – und dann schaust du dich plötzlich um und fragst dich, wie, zum Teufel, du dort gelandet bist.“

Zitat, Seite 309

„Irgendwie ist es, als gäbe es diese Momente in meinem Leben – eine Art Scharniere -, an denen alles hängt, was ich als Nächstes tue. Nur dass ich mich dann immer für das Falsche entscheide“

Zitat, Seite 363

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Mein <3 – licher Dank gilt dem Piper Verlag, der mir diesen Roman bei seiner Book Up Veranstaltung in eine randvolle Tüte voller Buchentdeckungen gesteckt und mein Leben damit um ein paar atmosphärische Lesemomente bereichert hat.