Wenn aus Fremden Verbündete werden #kinderbuchadvent + Giveaway

„Bergkristall – Der heilige Abend“ – Adalbert Stifter, Anita Sansone Cotti, Maja Dusikova

Bohem Press, erschienen am 16. September 2021, Preis 16,95 € [D], Gebundene Ausgabe, ab 3 Jahren, 32 Seiten, ISBN: 978-3-85581-580-7, hier geht’s zum Buch

Es ist die Geschichte zweier Bergdörfer, die sich fremd und nur durch zwei Kinder miteinander verbunden sind. Während Sanna und Konrad mit ihren Eltern in Gschaid auf der einen Seite des Berges wohnen, leben die Großeltern in Millsdorf auf der anderen. An einem sehr milden Heilig Abend dürfen sich die Kinder alleine auf den langen Weg über den Pass zu den Großeltern machen, um Weihnachtswünsche zu überbringen.

Mit allerlei Weihnachtsgaben im Gepäck, treten die Geschwister den Heimweg an. Doch sie geraten in einen Schneesturm und kommen vom Weg ab. Als die Dunkelheit hereinbricht, suchen sie Schutz in einer Höhle. Sie essen und trinken alles, was ihnen die Großeltern mitgegeben haben, um gegen den Hunger und die Müdigkeit anzukämpfen. Es ist das Leuchten eines Sterns, der sie um Mitternacht an den Weihnachtstag erinnert. Denn das Glockengeläut im Tal findet leider nicht den Weg zu ihnen ins Hochgebirge.

Unterdes lässt die gemeinsame Suche nach den vermissten Kindern die beiden entzweiten Gemeinden zueinander finden und aus Fremden Verbündete werden.

Ein Weihnachtsklassiker in neuem Gewand

Adalbert Stifters Bergkristall gehört sicher zu den Klassikern der Weihnachtsgeschichten. Die Geschichte, die 1845 erstmals in der Zeitschrift Die Gegenwart erschienen ist, damals noch unter dem Titel Der heilige Abend, fand über die Jahre in unterschiedlichstem Gewand den Weg zur Veröffentlichung. Die mir bekannteste Version ist die im Verlag Urachhaus erschienene Ausgabe, die sich an Kinder ab 5 Jahren richtet und von Maren Briswalter illustriert ist.  Nun ist bei Bohem Press eine gekürzte Neufassung des Klassikers erschienen, die die Geschichte auch einer jüngeren Leserschaft zugänglich machen soll.

Schon lange hatte ich das Bilderbuch für meine 4-jährige Räubertochter und mich im Visier. Ich hatte die Lektüre aufgrund des Textumfangs und des Inhalts jedoch vorerst noch auf später vertagt. Als ich das wunderbare Cover der Neuauflage sah, wurde mir direkt warm ums Herz. Die Coverillustration von Maja Dusikova hat mich auf Anhieb entzückt. Dass es sich dabei um die bereits anvisierte Geschichte von Adalbert Stifter handelt, habe ich anfangs gar nicht realisiert. Die vorliegende Ausgabe wurde von Anita Sansone Cotti gekürzt und in Würdigung des Originals auf traditionelle Weise nacherzählt. Die mit der Schweizer Autorin befreundete Illustratorin Maja Dusikova hat die Geschichte schon als kleines Mädchen geliebt und sich seit jeher gewünscht, sie eines Tages selbst malen zu dürfen. Mit ihren wunderschönen Bildern mit nostalgischem Touch hat sie ihre Liebe zu der Geschichte wunderbar zum Ausdruck gebracht. 

Der Verlag empfiehlt die Neufassung des Klassikers für Kinder ab 3 Jahren, in meinen Augen kann man sich aber auch mit der gekürzten Fassung gut und gerne noch ein weiteres Jahr Zeit lassen. Im direkten Vergleich zur anvisierten Urachhaus-Ausgabe kommt die Ausgabe mit weitaus weniger Text und großformatigeren Illustrationen daher, bei der gemeinsamen Lektüre mit meiner Tochter stelle ich jedoch fest, dass der Umfang des Textes nach wie vor nicht zu unterschätzen ist und ich nur in besonders wachen Momenten ihre volle Aufmerksamkeit für mich und die Geschichte gewinnen kann. 

Das Bilderbuch bietet viel Anlass für gemeinsame Gespräche. Dass sich Kinder in dem Alter ganz alleine ohne Eltern auf einen so langen und gefährlichen Weg über einen Berg machen dürfen, hat Emma schon sehr erstaunt. Aufgrund ihrer Bergerfahrung wusste sie jedoch auf Anhieb um die Schwierigkeit von steilen Stellen und der Gefahr, die manchmal vom Berg ausgeht. Es ist ganz wunderbar mit anzusehen, wie sich Sannas Bruder Konrad in dieser misslichen Lage behauptet, wie er Mut, Vernunft und einen klaren Kopf beweist, wie er sich die Umgebung und einige Wegpunkte einprägt, um nicht die Orientierung zu verlieren, trotz allem aber nicht die Hoffnung verliert, als das rot angestrichene Schild  einer Unglücksstelle am Höhepunkt des Passes später vollends im Schnee verschwindet. Er sorgt für seine kleine Schwester, lässt sie sich an seiner Tasche festhalten und lässt sie das bittere Kaffeekonzentrat trinken, damit sie nicht einschläft und in der Dunkelheit erfriert. 

Die Geschichte der anfangs entzweiten Gemeinden, die sich später zusammentun, um zusammen die vermissten Kindern zu finden, zeigt wiederum wie Empathie und Nächstenliebe letztendlich über Skepsis und Fremdenfeindlichkeit siegt. Sowohl inhaltlich als auch illustratorisch ist dieses Bilderbuch daher eine Perle.   

Eine Verlosung im Rahmen des Vorleseadvents

Heute öffnet sich bei mir das fünfzehnte Türchen im Rahmen des Kinderbuchblogger Adventskalenders von Kinderbuch-Detektive, weshalb ich ein Exemplar von der verkürzten Neuauflage Bergkristall an euch verlosen möchte.

Und da ich sowohl  hier auf dem Blog als auch auf Instagram eine treue Leserschaft habe, möchte ich euch auf beiden Kanälen die Möglichkeit geben, in den Lostopf zu springen.

Für ein Los auf dem Blog würde ich euch bitten, mir bis Donnerstag, 16.12.21, 23:59 Uhr zu verraten, in welcher Situation eure Kinder bislang Mut/Vernunft/einen klaren Kopf bewiesen haben.

Die Teilnahmebedingungen für das Los auf Instagram könnt ihr meinem Instagram-Post  auf @lesenslust entnehmen, der zeitgleich mit diesem Beitrag veröffentlicht wird. 

Viel Glück und eine besinnliche Advents- und Weihnachtszeit!

Eure Steffi

[Werbung: Dieses Buch wurde mir freundlicherweise von  Bohem Press als Rezensions- und Verlosungsexemplar zur Verfügung gestellt.]

[Der Versand des Gewinns erfolgt durch den Verlag. Zu diesem Zweck (und nur dazu) gebe ich die Adresse der Gewinnerin/des Gewinners an den Verlag weiter.]

Morty Reloaded..

lesenslust über „Heute beginnt der Rest des Lebens“ von Marie-Sabine Roger

Mortimer 4

„Familiengeheimnisse sind schwarze Spinnen, die uns mit einem klebrigen Netz umweben. Wir geraten immer tiefer hinein, irgendwann sind wir gefesselt, geknebelt, gefangen. Unfähig, uns zu regen, zu reden. Zu leben.“

Zitat, Seite 165

Sein gesamtes Leben blickt Mortimer dem Ende entgegen: seinem frühen Tod. All die Jahre lebt er in den Tag hinein, bleibt unnahbar, lebt oberflächliche Beziehungen und verdrängt den Wunsch eine eigene Familie zu gründen, weil eine Sache so sicher scheint wie das Amen in der Kirche: Er wird das gleiche Schicksal erleiden wie all die Männer in seiner Familie und an seinem 36. Geburtstag sterben. Es scheint unausweichlich.

Er kündigt seinen Job und seine Wohnung, bringt das letzte Mal den Müll raus und lässt seine Freundin Jasmine ziehen, die er eigentlich viel lieber behalten möchte. Er ist bereit das Zeitliche zu segnen. Doch der Tod lässt auf sich warten. Alles bleibt wie gehabt und Mortimers Geburtstag verstreicht ereignislos. Der erwartete Todeszeitpunkt tritt nicht ein, weshalb der gute Mortimer auch Stunden später noch in seinem Beisetzungsanzug und in allerbester Verfassung am Crêpestand seiner Freunde sitzt und die Welt nicht mehr versteht. War alles nur eine Farce?

Mortimer muss nun endlich beginnen, zu leben und stellt fest, dass das Leben eine viel größere Herausforderung ist, wenn der Todeszeitpunkt in den Sternen steht.

Mortimer 3

„Erzählen Sie mal herum, dass Sie mit Ihren Pflanzen reden, damit sie besser wachsen, dass Ihnen Ihre Großmutter im Traum erscheint, um Sie vor misslichen Ereignissen zu warnen, dass Sie aufs Gramm genau wissen, wie viel Sie wiegen, bevor Sie auf die Waage steigen – da landen Sie schnurstracks in einer Schublade mit all den anderen Spinnern, irgendwo zwischen Spiritisten und Zwiebelanbetern.“

Zitat, Seite 42/43

Marie-Sabine Roger schreibt Geschichten rund ums Herz. In ihren Romanen widmet sie sich zwischenmenschlichen Problemen. Ihre Zeilen sind geprägt von Feingefühl, Toleranz und Nächstenliebe. Werte, die in all ihren Werken präsent sind. Zahlreiche Leserherzen hat sie dadurch bereits für sich gewonnen. Romane wie „Das Labyrinth der Worte“, „Der Poet der kleinen Dinge“ oder auch „Das Leben ist ein listiger Kater“ sind bereits in aller Munde. Auch in ihrem neuen Roman widmet sie sich einem eigenbrötlerischen Protagonisten, weshalb sich der Roman ganz harmonisch in das vertraute Genre einreiht.

Mortimer Décime, kurz Morty, ist Mitte Dreißzig. Er steht kurz vor seinem Geburtstag und hat bereits alles für seinen Abgang aus dem Leben arrangiert. Er nimmt an, dass ihn dasselbe Schicksal erleiden wird, wie all den Décime Männern vor ihm: Der plötzliche Tod mit 36. Nun ja, warum also in ernsthafte Beziehungen investieren und eine Familie gründen, wenn er sich bereits mit Mitte Dreißig von ihnen verabschieden muss? Er vermeidet es, in die Fußspuren seiner Vorfahren zu treten um Schmerzen und Tränen des Abschieds vorzubeugen. Er bleibt unnahbar, oberflächlich und emotionslos.

„Ich könnte mich auf eine Bank setzen und heulen, soviel ich wollte. Ich würde mir die Tränen eines ganzen Lebens ausweinen, bevor sich auch nur ein Passant für mich interessierte. Ich würde so viel Wasser vergießen, bis ich erschöpft, verschrumpelt, ausgetrocknet wäre.“

Zitat, Seite 141

Mortimer

Er fährt gut mit seiner Strategie. Die Menschen in seiner Umgebung nehmen ihn kaum wahr. Eigentlich verspürt kaum jemand Lust, den unattraktiven leicht übergewichtigen Morty kennenzulernen. Seine Bekanntschaften sind spärlich gesäht. Einzig und allein Paquita und Nassardine, die Besitzer eines Crêpestandes, werden für ihn zu einer Art Ersatzfamilie. Nach dem Tod des Vaters hat sich Mortys Mutter schnell aus dem Staub gemacht; verzweifelt, mit dem Tod ihres Sohns nicht umgehen zu können. Morty bleibt alleine zurück.

Als Morty erfährt, dass er vorerst gar nicht sterben wird, sitzt der Schock tief. Seine Strategie war für den Arsch. Die ganzen Jahre verschwendet. Selbst die Beziehung zu der verrückten Jasmine, in der er das perfekte Gegenstück findet, lässt er zerbrechen. Er hatte schließlich fest mit seinem Tod gerechnet. Doch mit der Aussicht auf weitere Lebenszeit wächst auch die Hoffnung auf eine zweite Chance im Leben. Eine Chance, die er nicht ungenutzt lassen darf.

„Dieses Mädchen war wie Alufolie zwischen zwei Zahnkronen, wie eine Papierschnittwunde am Zeigefinger, eine rissige Lippe, die immer wieder aufgeht, wenn man lacht. Etwas völlig Belangloses, das aber unheimlich nerven kann. Ich hatte Lust sie zu schütteln, sie zu zerkrümeln, sie zu zerkratzen.“

Zitat, Seite 143

„Sie baute Luftschlösser, ich rechnete und zählte. Sie war die Grille, verschwenderisch und sorglos, ich war die Ameise, die an Worten sparte und mit dem Herzen geizte. Ich hatte Gewissheiten, sie glaubte an Dinge. Ich würde eines Tages sterben. Sie lebte die ganze Zeit. Vielleicht war es das, was ich am meisten an ihr liebte. Dieses übersprudelnde Leben, das sie mit einer Aura von Wünschen und Verlangen umgab. Ich lebte mehr und besser, wenn ich mit ihr zusammen war.“

Zitat, Seite 160

Roger erzählt uns in „Heute beginnt der Rest des Lebens“ die Geschichte eines Außenseiters. Es sind leise Töne, mit denen die einfühlsame Autorin uns die Geschichte erzählt. Töne, die von Mitgefühl und Toleranz getränkt sind. In ihren Zeilen fehlt es weder an schwarzen Humor noch hilfreichen Lehren. Mit ihren Figuren schenkt sie uns ein exotisches Potpourri von Menschen: Einen bunten Haufen Exoten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und sich dennoch perfekt ergänzen. Roger gelingt ein humorvoller und zugleich phantasievoller Roman mit klitzekleinen Längen – unterhaltsam, lehrreich, anrührend. Alles Roger eben!

Mortimer 2

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